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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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harten Boden, der Lewis mit den Sohlen seiner Schuhe festfrieren ließ, so dass es ihm unmöglich war, fortzulaufen. Die Sphinx kam näher, wuchs dabei, bis sie ihm an Statur ebenbürtig war. Auf dem Stein schimmerte der Frost, und das bleiche Sonnenlicht, das vom fahlen Himmel sickerte, brach sich darin wie in gemahlenen Diamanten. Lewis spürte, wie sich Schweiß auf seiner Stirn bildete, der sogleich gefror und harte Perlen auf seiner Haut zurückließ. Die Sphinx stand vor ihm, nur zwei Schritt entfernt, ihr Schwanz peitschte die eisige Luft. Wie gebannt folgte Lewis den Bewegungen, hin und her. Doch plötzlich hielt die Sphinx inne. Es krachte laut. Zwischen den Pranken des Wesens tat sich die harte Erde auf, riss in sternförmigen Mustern wie eine geborstene Glasscheibe, und in den dunklen Abgrund, der sich auftat, stürzte die Sphinx, und dann schloss sich die Erde mit einem Donnerschlag wieder, hinterließ nur kalten, reifglitzernden Boden wie zuvor, als sei nichts geschehen.
    Lewis starrte auf die Stelle, bis ihn ein anderes Geräusch aufblicken ließ. Hinter den dunklen Baumstämmen waren nachtfarben gekleidete Männer hervorgetreten. Ihre Schultern, Arme und die Körper wurden von den langen Umhängen verhüllt, und schwarze Halbmasken bedeckten die Gesichter unter den schwarzen Dreispitzen. Lewis sah sich einem halben Dutzend dieser Figuren gegenüber, die ihn stumm und unbeweglich ansahen. Immer noch hielt der furchtbare Frost ihn gefangen, die Sohlen festgehalten am Boden und die Glieder gelähmt vor Kälte, und dennoch strömte ihm der Schweiß über das Gesicht, und wieder gefror dieser sogleich, bis ein dichter Panzer aus Eis seine Züge umh üllte.
    Verschwommen konnte er mit seinen weit aufgerissenen Augen erkennen, wie sich die Gestalten von den Bäumen lösten und auf ihn zugeflogen kamen.
    Da schrie Lewis, und der Panzer aus Eis zersprang in tausend Splitter, die mit dem Klang von silbernen Totenglocken zu Boden fielen.
    Lewis schrak in seinem Bett auf, und einen Augenblick befürchtete er, die nachtfarbenen Männer hätten ihn erreicht und mit ihren weiten Umhängen umhüllt, so finster war es um ihn herum. Doch schnell erkannte er, dass er sich in seinem Zimmer befand und die Dunkelheit nur daher rührte, dass die Nacht angebrochen war. Er hatte vom frühen Nachmittag bis jetzt geschlafen, was er der Tatsache zuschrieb, dass die Strapazen des vorigen Abends und der doch recht kurzen Nacht Tribut gefordert hatten. Seine Munterkeit am Morgen schien eine Täuschung gewesen zu sein.
    Lewis setzte sich auf und stützte die Ellbogen auf die Knie. Was für ein absonderlicher Traum. Noch immer klangen die hellen Töne des zerberstenden Eises in seinen Ohren.
    Da war es wieder! Es klirrte um ihn herum, nein, direkt neben ihm. Er warf den Kopf, ja den ganzen Körper herum und sah, wie die Scheibe seines Zimmerfensters bebte. Lewis ernüchterte sich schnell und schüttelte den Schrecken ab. Da warf offenkundig jemand mit Steinchen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
    Langsam stand er auf und ging zum Fenster. Der Mond leuchtete hell, und er hätte ohne Probleme den Steinewerfer erkennen können, doch der Winkel zwischen dem Fenster und der ein Stockwerk tiefer liegenden Gasse war zu ungünstig. Wieder klirrte ein Kiesel.
    Wer konnte ihn zu solch einer Stunde mit solchen Bubenstreichen behelligen? Plötzlich schoss es ihm durch den Kopf: Das konnte nur der junge Herder sein! Ihm traute er so ein Verhalten zu, und außerdem hatten sie ja in Verbindung bleiben wollen. Lewis hätte nur nicht geglaubt, dass dies schon so bald sein würde und erst recht nicht unter diesen Umständen. Dennoch griff er beherzt nach dem Fenster und öffnete es. Er streckte den Kopf hinaus, blickte hinab in die dunkle Gasse und erschrak.
    Da saß, auf einem dunklen Pferd, eine hohe Gestalt im dunklen Mantel und mit einem Hut, der das Gesicht beschattete. Den Arm hatte sie ihn drohender Gebärde erhoben. Lewis wich zurück und wollte in Panik das Fenster zuwerfen, als er eine bekannte Stimme hörte:
    „Das hat aber gedauert! Ich habe schon keine Kiesel mehr!“
    Lewis beugte sich vor. Die Gestalt ließ etwas aus der erhobenen Hand rieseln und hob dann den Hut, so dass Lewis das Gesicht erkennen konnte. Es war Goethe.
    „Kleiden Sie sich an, Herr Lewis, und kommen Sie! Es ist dringend – nehmen Sie einen Mantel mit!“
    Als Lewis zögerte und den Mund in Ermangelung vernünftiger Worte öffnete und gleich wieder schloss,

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