Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
nicht sehr tiefen Höhlung im Fels, umrahmt von einer Art Torbogen, der grob aus dem Gestein herausgehauen war, eine Gestalt kauern. Es war das Steinbild einer Sphinx, die löwenleibig und mit Pharaonenhaupt auf einem Piedestal ruhte. Lewis betrachtete abwechselnd die Figur und ihr Abbild im Wasser des Beckens. Mit einem Mal kamen ihm sein Gang über die Brücke und das uralte Rätsel des Fabelwesens in den Sinn: Was geht morgens auf vier Beinen, mittags auf zweien und abends auf drei Beinen?
Lewis lachte. „Verzeih, gute Sphinx, aber auf mich trifft es nicht zu, auch wenn ich ein Mensch bin, wie als Antwort verlangt! Ich gehe bereits morgens auf drei Beinen!“ Er klopfte übermütig mit dem Stock an einen der Felsen. Als das Licht der Sonne im Wasser flirrte, blickte er zum Himmel. „Nun, genauer betrachtet, gehe ich auch mittags noch auf drei Beinen, wie es scheint!“
Die Sphinx beachtete ihn nicht, und Lewis war es auch egal. Er blickte sich um, und ein leises Plätschern von Wasser lockte ihn zur Seite. Ganz in der Nähe entsprang aus dem felsigen, mit Gesträuch bewachsenen Grund eine Quelle, die sich in eine Mulde aus aufgeschichteten Gesteinsbrocken ergoss und in einem ebensolchen Bett weiterlief. Lewis folgte dem Lauf des Bächleins ein wenig, zwischen Bäumen und Büschen hindurch, wobei ihm der Knotenstock gute Dienste leistete, bis er zu einer sternförmigen Kreuzung mehrerer fest angelegter Wege kam. Er folgte einem in Richtung der Sonne, bis er eine hölzerne Brücke erreichte, die ihn erneut über die Ilm brachte. Hügelig war es hier, und Felsen stachen aus dem Grün, in dem sich die Bäume festkrallten. Durch den Fels brach sich eine Treppe Bahn, den Hügel hinauf. Lewis, dem der vorige Pfad am Bächlein entlang uneben genug gewesen war, nahm flink die gleichmäßigen Stufen. Der Tritt war angenehm sicher, und rasch war der Aufstieg geschafft. Lewis schnaufte begeistert und blickte umher. Linker Hand schimmerten hinter einigen Bäumen die Steine einer Ruine. Lewis wusste von Böttiger, dass diese künstlich war, vielmehr, dass man einer alten Mauer das Ansehen einer weit größeren und wichtigeren Anlage gegeben hatte. Hier sah man einen Torbogenrest, dort, halb im Boden vergraben, das Kapitell einer Säule.
Unter einem weiteren Torbogen, der zu dicht über der Erde saß, als dass ein normal gewachsener Mensch hätte eintreten können, und flankiert von zwei gemeißelten Wappen in der Mauer ruhte eine Steinkugel auf einem Podest. Lewis fuhr mit der Hand darüber, überlegte, sich darauf zu setzen, entschied sich aber dagegen. Selbst an diesem warmen, hellen Sommertag – ein paar Vögel ließen sich in einiger Nähe vernehmen – hatte dieser Ort etwas Melancholisches. Man glaubte, die traurigen Überreste einer Burg zu sehen.
„... worin weiland ein ehrenfester Ritter mit seiner ganzen Sippschaft hauste und welche der Neid und die Habsucht eines mächtigeren Nachbarn in diesen schaudererregenden Steinhaufen verwandelte ...“
Lewis fuhr sich über die feuchte Stirn. Der Satz war plötzlich aus ihm herausgebrochen, als habe der Anblick der Ruine ihn in den Tiefen seines Seins aufgespürt und an die Oberfläche getrieben. Lewis keuchte. Dieser Platz flößte ihm mehr und mehr Unbehagen ein, wiewohl er sich dagegen sträubte, die heitere Stimmung, die ihn zuvor erfüllt hatte, zu verlieren. Plötzlich knackte ein Zweig, und Lewis wirbelte herum, sah, wie ein Kopf hinter der Mauerecke erschien, die sich nahe der Treppe befand. Der Mann vom Markt! Hastig stürzte Lewis davon, seinen Stock fest umklammert, und mit Mühe gelang es ihm, nicht kopfüber ins Gras zu schlagen. Hinter sich hörte er ein Lachen. Er wich den Baumstämmen aus, stolperte einen Hang hinab, wobei er nahezu einen Schuh verlor. Endlich, endlich erreichte er einen Weg und verbarg sich hinter einem mächtigen Baum. Vorsichtig blickte er zurück. Niemand war zu sehen. Aber aus einer anderen Richtung hörte er nochmals ein Lachen. Er drehte sich erschrocken um. In einiger Entfernung spazierte ein Pärchen, in neckischem Dialog vertieft. Unbeschwerte Spaziergänger wie er selbst noch wenige Augenblicke zuvor. Lewis’ Panik fiel mit einem Mal von ihm ab. Er versuchte, sich zu erinnern. Es mochte nicht der Mann vom Marktplatz gewesen sein, den er an der Ruine gesehen hatte. Nein, eigentlich war er ziemlich sicher, dass er es nicht gewesen war, denn bei näherem Entsinnen ähnelten sich weder die Hutform noch dessen Farbe, ganz zu
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