Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
verschwand immer wieder für Augenblicke aus dem Sichtfeld, wenn er um eine Ecke bog. Gleichwohl konnte Lewis mithalten. Allerdings ritt er völlig orientierungslos dahin, denn in dieser Geschwindigkeit, geschweige denn in der Nacht, hatte er sich in Weimar noch nie bewegt, und der Lärm, den sie verursachten, erschien ihm laut genug, die gesamte Weimarer Garnison zu alarmieren und ausrücken zu lassen. Sie eilten an Häusern vorbei, hinter deren Fensterscheiben nur vereinzelt noch das Licht eines Wachenden schien. Lewis glaubte zu sehen, wie eine Katze vom Weg in einen Garten floh, den Bretterzaun mit einem jähen Satz überwindend. Plötzlich mischte sich ein Wutschrei ins Trommeln der Hufe. Ein später Fußgänger, dessen Gang allerdings reichlich schwankend schien, schüttelte die Faust hinter dem entschwindenden Goethe her, als auch schon Lewis ihn passierte. Der Mann drehte sich um die eigene Achse und fluchte wie ein Kutscher. Zumindest erkannte Lewis einige der Vokabeln wieder, die sein Postillion auf dem Weg nach Weimar verwendet hatte. Dann war er auch schon außer Hörweite. Weit vorn bog Goethe um eine Ecke. Er schien sich sehr sicher zu sein, dass Lewis ihm würde folgen können, und dieser war froh, den Geheimrat nicht enttäuschen zu müssen.
Als Lewis Goethe wieder sah, stand dieser vor einem der Weimarer Stadttore und redete mit dem Posten, der vor seinem hölzernen Schilderhaus stand. Aus der offenen Tür des dahinterliegenden Torhäuschens drangen Licht und Gelächter, Karten knallten auf eine Tischplatte. Als Lewis herankam, sah er den Soldaten heftig nicken. Im Licht der Laterne schimmerten dessen Frack und Hosen in kräftigem Grün, und Lewis fühlte sich an einen Laubfrosch erinnert. Nicht unbedingt ein Tier, das Respekt einflößte. Der Posten öffnete eifrig das ein wenig knarrende Tor, das zwischen einem spitzgiebligen Haus und einem gemauerten Pfeiler von doppelter Mannshöhe in seinen Angeln hing. Auf dem Pfeiler thronte ein steinernes Tier mit Wappenschild in den Pranken. Lewis konnte beides nur schwach erkennen, doch schoss ihm sogleich der Traum mit der Sphinx durch den Kopf, und dieses Tier flößte ihm gehörigen Respekt ein.
Da rief Goethe ihn zum Weiterreiten, und Lewis folgte, vermied es aber, am Pfeiler hochzuschauen, als er ihn passierte. Der Posten grüßte, und Lewis dankte knapp. Hinter ihm fiel das Tor knarrend wieder in seine Ausgangsstellung.
Goethe wartete unter einigen hohen Laubbäumen auf ihn, die den Platz vor dem Tor bestanden. Er klopfte sich auf den Schenkel. „So, nun da wir aus der Stadt heraus sind, können wir auch eine flottere Gangart anschlagen, nicht wahr?“
Lewis sah Goethe wortlos an. Ihm schwante Übles.
Goethe grinste verschlagen. „Da Sie ja recht gut haben mithalten können, dürften die nächsten acht Meilen auch kein Problem sein.“
Lewis fragte sich, warum Goethe diese relativ kurze Strecke als längeren Ritt bezeichnet hatte, nickte aber zuversichtlich. „Seien Sie so gut, Herr Geheimrat, und klären Sie mich über das Ziel dieser nächtlichen Reise auf.“
Goethe hob die Brauen. „Nein, ich denke, das sollte ich nicht. Folgen Sie mir einfach. Sie werden etwas sehen, das es nicht alle Tage zu sehen gibt.“ Er wurde für einen Augenblick ernst. „Ein Glück, möchte man meinen ...“ Dann packte er die Zügel fester. „Also denn!“, rief er und sprengte los, aus den Schatten der Bäume heraus und den mondbeschienenen Weg entlang, der mitten durch die Felder vor Weimar führte.
Lewis schüttelte den Kopf und folgte Goethe dicht auf den Fersen.
Unter dem hellen Mond jagten sie dahin, zwischen den Feldern hindurch, an kleinen Gehölzen und Hainen vorbei, dann und wann einen Wasserlauf überquerend. Goethe schien den Weg überraschend gut zu kennen. Die Sicht war gut in dieser Nacht, und er hielt kein einziges Mal inne, um sich zu orientieren, eine Karte zu befragen oder dergleichen.
Lewis hielt seinen Blick fest auf den wehenden Mantel vor ihm geheftet, achtete darauf, wann das vorauslaufende Pferd Steinen oder Löchern im Weg auswich und lenkte sein eigenes Tier dementsprechend.
Dann und wann schob sich eine einzelne Wolke vor den Mond, ohne dass jedoch die sich dadurch verstärkende Dunkelheit Goethe in seinem rasenden Ritt gebremst hätte, und zum wiederholten Male fragte sich Lewis, was den Geheimrat dazu trieb, diese Anstrengung zu dieser späten Stunde auf sich zu nehmen und was er selbst dabei zu suchen hatte. Da Goethe ihn
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