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Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)

Titel: Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Röder
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vielleicht gar der angesehenste, dahingerafft auf einem Feldwege, durch die Schuld eines jungen Engländers mit zweifelhaftem Ruf, der einen Hang zur Geisterseherei hatte. Was würde das für Schlüsse nahelegen? Bestürzt erinnerte sich Lewis an den hetzenden Ritt durch die Gassen – welcher zufällige Betrachter hätte nicht denken mögen, dass er, Lewis, der hinter Goethe ritt, diesen gejagt hatte? Gejagt, um ihn vor den Toren der Stadt zu Tode kommen zu lassen, aus welchem dunklen Grund auch immer. Mitten in der Nacht, fern jeder Menschenseele!
    Lewis erreichte die Kuppe, schon sah er Goethes Pferd, das am Wegesrand graste, und da, am Boden, eine dunkle Gestalt, zusammengekrümmt im Stadium der letzten Agonie, und tatsächlich: Da sickerte ein dunkles Rinnsal durch den Staub. Das Mondlicht brach sich im Blut des Poeten. Lewis schlug erschüttert die Hand vor den Mund und stöhnte.
    „Recht haben Sie, dass Sie sich schämen“, brummte Goethe und richtete sich auf, wobei er sich den Staub von den Knien klopfte. „Mich so anzurempeln! Die Weinflaschen sind hin, und mein Prisma hat den Fall auch nicht überstanden.“
    Er hielt eine Glasscherbe in die Höhe, deren Glitzern Lewis wie ein Freudenfeuer schien.
    „Oh Gott“, stieß er befreit hervor. „Sie leben!“
    „Natürlich“, gab Goethe schmallippig zurück, „aber nicht sonderlich gut, angesichts der Tatsache, dass mir ein schmackhafter Schoppen als Erfrischung nach dem weiteren Ritt vorenthalten bleiben wird.“ Er steckte den zerbrochenen Kristall in die Rocktasche, gab dem tropfnassen Beutel am Boden einen Tritt, dass er klirrend in die Wiese rutschte, und stieg dann wieder in den Sattel.
    „Weiter jetzt, wir haben Zeit verloren, und dieses Mal bleiben Sie hinter mir, junger Master Lewis!“, knurrte Goethe.
    Lewis blieb nichts anderes übrig, als unter dem scharfen Ton des Geheimrats ergeben zu nicken, und so ritten sie beide die Kuppe hinab und in den Wald hinein. Dort schlug Goethe wieder eine Geschwindigkeit an, die Lewis unbehaglich war. Zwar war der Weg breit genug, so dass die Schneise, die er durch die Stämme zog, einiges an Licht auf den Boden fallen lassen konnte, aber dennoch war der scharfe Galopp den Sichtverhältnissen keineswegs angemessen. Lewis fragte sich, ob der Geheimrat möglicherweise das Sehvermögen einer Eule besaß oder ob ihn eine Art Instinkt leitete, wohin auch immer der Ritt führen mochte. Zumindest sollte er, wie Lewis nun wusste, an einem Ort enden, an dem man Wein hätte trinken können, was dem ganzen einen recht harmlosen Anstrich verlieh. Goethe übertrieb anscheinend maßlos mit seiner Heimlichtuerei. Dann mochte es eben sein, dass der Geheimrat Landpartien nicht wie andere Leute im hellen Tageslicht, sondern bei Nacht bevorzugte.
    Seltsam, aber nicht weiter verwerflich, es sei denn ...
    Lewis schüttelte jeden weiteren Gedanken ab und konzentrierte sich auf den Weg. Nicht, dass es ihm selbst so erging wie den Weinflaschen des Geheimrats und er durch eine Unachtsamkeit vom Pferd fiel. Erfreulicherweise war der Weg jedoch frei von jeglichen Hindernissen, seien es Steine oder Zweige, und so ritt Lewis in stetem, ungebremstem Galopp hinter Goethe her. Ab und an durchquerten sie einen Schwarm Glühwürmchen, der in der sommerlichen Nachtluft schwebte, und Lewis kamen sie wie ein willkommener Abglanz der Sterne über ihm vor, der für ein paar Lidschläge Abwechslung ins Dunkel des Waldes brachte.
    Nach kurzer Zeit lichtete sich das Dickicht endlich, und sie stoben wieder ins freie Feld hinaus. Lewis hatte jedes Zeitgefühl verloren und fragte sich, wie lange sie nun ritten. Die von Goethe genannten acht Meilen hatten sie jedenfalls längst hinter sich.
    Lewis kam es in den Sinn, zu Goethe aufzuschließen, er ließ den Gedanken aber sogleich wieder fallen, nicht allein, weil es schon einmal schiefgegangen war, sondern weil ihm am Horizont, an dem sich eine dunkle Waldkette abzeichnete, plötzlich etwas auffiel: Ein heller, rötlicher Schein war dort zu sehen. Die Sonne ging auf, dachte Lewis zunächst, doch dann schüttelte er den Kopf. Hatte der Ritt durch den Wald, der Ritt über Land so viel Zeit in Anspruch genommen, dass bereits der Morgen dämmerte? Er lachte unzufrieden auf. Dann war Goethes Hinweis auf die acht Meilen also nur ein Vorwand gewesen, ihn zur Teilnahme an dieser Reise zu bewegen.
    „Ah, Sie haben es auch bemerkt“, rief Goethe, der seinen Ritt etwas verlangsamt hatte, zu ihm zurück.

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