Der Mönch und die Jüdin
Irgendwelche Probleme?«
»Jemand fragt nach Herrn Berengar.«
Der dicke Geistliche wandte sich Joseph zu. »Der ehrenwerte Berengar hat sich in sein Heimatkloster nach Jülich zurückgezogen. Er war ja nicht mehr der Jüngste. Ich bin sein Nachfolger.« Mit einem gemütlichen Grinsen fuhr er fort: »Du wirst also mit mir vorliebnehmen müssen, Jude. Du bist doch sicherlich der alte Joseph und willst wissen, warum wir unsere Bestellung rückgängig gemacht haben.«
»Ja, der bin ich«, sagte Joseph. Seine Stimme klang jetzt wieder etwas kräftiger.
»Das dachte ich mir. Dann hör gut zu, Jude: Der Erzbischof hat angeordnet, dass wir ab sofort ausschließlich bei christlichen Kaufleuten einkaufen sollen, wenn diese die Waren beschaffen können, die wir benötigen. Künftig wird uns der Kaufmann Hildeger Hardefust mit Schreibwaren beliefern.«
Es tat Hannah in der Seele weh, dass er ihren Vater herablassend duzte und ihn mit Jude anredete, statt mit seinem Namen.
»Aber die Hardefusts sind doch …« Joseph wollte wohl Halsabschneider sagen, unterbrach sich aber noch rechtzeitig. »Ich meine, sie machen Euch viel schlechtere Preise als ich!«
»Der Erzbischof möchte sein Verhältnis zu den Kölner Kaufmannsgeschlechtern verbessern«, sagte der dicke Sekretär. »Da passt es nicht ins Bild, wenn wir Waren bei einem Juden kaufen, die uns auch ein angesehener christlicher Patrizier liefern kann. Tut mir leid für dich, alter Mann, aber so stehen die Dinge nun einmal.«
»Aber ich hatte Ware für Euch bestellt, die bereits in meinem Lager liegt«, sagte Joseph aufgebracht. »Was mache ich jetzt damit? Wollt Ihr, dass man Euch nachsagt, die erzbischöfliche Kanzlei wäre ein unzuverlässiger Geschäftspartner?«
Friedrich zögerte einen Moment. Er strich sich mit der Hand nachdenklich über seinen dicken Bauch. »Nun gut. Die Ware, die bei dir bereits für uns lagert, will ich dir noch abnehmen. Das ist recht und billig, und ich denke nicht, dass der Erzbischof etwas dagegen einzuwenden hat. Sende mir eine Liste dieser Dinge, dann werden wir sie abholen und bezahlen. Neue Bestellungen wird es aber keine mehr geben. Und nun entschuldige mich, ich habe zu tun.« Mit diesen Worten zog er sich in sein Arbeitszimmer zurück und schloss die Tür hinter sich.
***
»Da hinten, das ist Sankt Maria at gradus, die Kirche, die im Osten des Doms gebaut wurde. Weil sie durch ein Atrium mit ihm verbunden ist, wirkt der ganze Gebäudekomplex noch riesiger«, sagte Anselm, der in die Rolle des Fremdenführers geschlüpft war. Sie hatten ihre Pferde angebunden und gingen auf das Hauptportal des Doms zu.
Anselm fuhr fort: »Das hier vor uns ist der Dom selbst. Er wurde anstelle des durch ein Feuer zerstörten Vorgängerbaus errichtet und 870 eingeweiht. Dieser Dom ist eine der größten Kirchen der Christenheit und diente als Vorbild für viele andere Gotteshäuser in ganz Europa. Wie ihr seht, hat er ein dreischiffiges Langhaus. Das Mittelschiff ist doppelt so hoch wie die Seitenschiffe und wird auf jeder Seite durch zwölf Fenster erhellt. Die zehn Arkaden des Mittelschiffs ruhen auf mächtigen Pfeilern. Im Langhaus steht das berühmte Gerokreuz, aber das werden wir uns später drinnen noch anschauen. Der östliche Hauptchor ist der Gottesmutter geweiht, der westliche dem heiligen Petrus. Die Krypta unter dem Westchor ist der von Sankt Peter in Rom nachgebildet. Das lange, niedrigere Gemäuer, das sich im Westen an den Dom anschließt, ist das Atrium. Es grenzt an das alte römische Stadttor, durch das einst die Legionen nach Norden marschiert sind.«
Sie durchschritten das Portal. Drinnen umfing Konrad ein gewaltiger, von abertausend Kerzen erhellter Kirchenraum, auf den sich aus den kleinen Fensterrosetten ein gleichsam heiliges, spirituelles Licht ergoss. Mächtige Gewölbe schienen fast bis hinauf ins Himmelreich zu ragen. Die Menschen, die in der Weite des Gebäudes umherliefen, wirkten darunter wie Ameisen. Diese riesigen Ausmaße des Doms machten Konrad demütig. Wer hier betete, wurde daran erinnert, wie klein und unbedeutend ein einzelner Mensch im Angesicht Gottes doch war. Ein ehrfürchtiges Schaudern überlief Konrad. Gott schien einem hier ganz nah und doch unendlich fern zu sein.
***
Hannah hatte schon befürchtet, Joseph könnte vor lauter Ärger und Enttäuschung einen Schwächeanfall erleiden. Doch seltsamerweise schien diese unerfreuliche Entwicklung seine Lebensgeister neu zu wecken. Er war wesentlich
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