Der Mönch und die Jüdin
Unsinn!«, erwiderte Hannah heftig.
Aber Benjamin tat, als hätte er sie nicht gehört. »Triffst du dich deshalb mit einem Klosterbruder? Da wird mein Vater aber begeistert sein, wenn er hört, dass die Tochter seines Bruders unseren Glauben verraten und Schickse werden will!«
»Ach, du bist so gemein, mit dir rede ich überhaupt nicht mehr! Kommt, wir gehen!« Sie zog Konrad am Ärmel.
Als sie sich ein paar Schritte entfernt hatten, sah Konrad, wie verletzt sie war. In ihren Augen schimmerten Tränen, die sie schnell wegwischte. »Er … ist so gemein, genau wie sein Bruder David! Und es geht ja nicht nur gegen mich, sondern auch gegen meinen Vater, was ich noch schlimmer finde. Mein Onkel verachtet meinen Vater. Er behauptet, mein Vater wäre ein schlechter Kaufmann. Aber das stimmt überhaupt nicht. Und immer wieder zieht er über Josephs wunderbare Bibliothek her und sagt, das sei Verschwendung. Was für ein Glück, dass er und seine Söhne in unserem Kontor nichts zu bestimmen haben!«
Konrad hätte ihr gerne geholfen, als er sie so gekränkt und bekümmert sah, aber er wusste nicht wie. »Verzeiht«, sagte er, »aber ich habe diese Worte nicht verstanden. Was ist ein Goj? Bin ich ein Goj? Und was ist eine Schickse?«
»Ein Goj ist ein Nichtjude. Eigentlich heißt es nicht mehr als das. Aber wenn meine Vettern das Wort benutzen, meinen sie es natürlich verächtlich. Und eine Schickse ist eine nichtjüdische Frau. Was er mir da unterstellt hat, war wirklich sehr gemein und beleidigend! Aber für Benjamin und Nathan sind wir Frauen bloß dumme Weiber, die zu gehorchen haben. Und wenn sie nicht gehorchen, werden sie brutal verprügelt! So hat Nathan es mit seiner Frau gemacht, und Benjamin ist genauso. Sie haben ihre armen Frauen so lange geprügelt, bis ihr Wille gebrochen war. Und heute sind sie ganz ängstliche, verschüchterte Wesen, die es nicht wagen, gegen ihre Männer aufzubegehren, aus Angst, grausam geschlagen zu werden. Das ist einfach ein furchtbares Unrecht! Zum Glück ist mein Vater Joseph ganz anders. Er hat meine Mutter und uns Töchter immer liebevoll behandelt und uns niemals verprügelt.«
Konrad fand die Vorstellung ganz widerwärtig, dass ein Mann seine Frau verprügelte, die er doch eigentlich lieben und achten sollte.
Hannah schüttelte den Kopf. »Ach was«, sagte sie energisch, »Schluss mit diesen Familienangelegenheiten! Jetzt zeige ich Euch die prächtigen Schiffe, die übers Meer fahren. Kommt!«
Sie führte Konrad am Kai entlang, und es war genau so, wie er es sich erträumt hatte: Hannah kannte die Schiffe, wusste Bescheid, woher sie kamen und wohin sie fuhren, und beschrieb ihm das Treiben am Hafen lebhaft und begeistert. Gleichzeitig ergriff Konrad der Zauber von Hannahs Schönheit, packte ihn mit aller Macht. Immer wieder glitt sein Blick zu ihr hin. »Hier, dieses Schiff kommt gerade aus England und bringt Wolle, Häute und Rohmetall. Schaut, dort werden kostbare Tuche aus Flandern angelandet. Und seht Ihr das Schiff, das gerade abgelegt hat und hinaus in den Strom gerudert wird? Das ist eine Kogge, ein ganz moderner Schiffstyp. Seht ihr den dicken Schiffsbauch? Da passt viel Fracht hinein. Koggen sind besonders schnell und seetüchtig.«
»Wohin fährt die Kogge denn, und was hat sie geladen?«
»Hm. Mal sehen. Ja, ich erkenne sie. Sie gehört den Quattermarts und segelt mit Getreide, Waffen und Silberschmuck in die Ostsee, um von dort mit Salzheringen, Stockfisch, Sämischleder und Bernstein zurückzukehren.«
Konrad sah, wie auf dem mächtigen Schiff das Rahsegel gesetzt wurde, um bei der Reise flussabwärts zusätzlich Fahrt zu gewinnen.
»Wenn der Zoll kassiert ist, werden die Waren in den Kontorhäusern der Kaufleute gelagert«, erklärte ihm Hannah, »oder sie wandern sofort auf den Heumarkt, um von dort weiterverkauft zu werden. Ach, Konrad, glaubt mir, das ist ein herrliches Gefühl, wenn im Kontor neue Waren ankommen. Sie duften nach der weiten Welt …«
Das war ein Aspekt des Lebens, mit dem Konrad sich noch nie beschäftigt hatte. Er sah die Karawane von Trägern, Handkarren und Fuhrwerken, die von den Schiffen Richtung Markt und zurück strömte, und spürte, wie ihn eine fiebrige Unruhe erfasste. Er hatte ein starkes Verlangen danach, einen dieser Transporte anzuhalten, um sich neugierig die Waren anzuschauen, seine Finger darübergleiten zu lassen oder den Duft exotischer Kräuter und Gewürze in sich aufzunehmen. »Ein Kaufmann wie Euer Vater hat
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