Der Mönch und die Jüdin
bestimmt ein interessantes Leben«, sagte er.
»Ich möchte auch Händlerin sein«, sagte Hannah. »Und Gelehrte und Philosophin! Das ist gar kein Widerspruch. Es ist durchaus möglich, auf Handelsreisen und im Kontor beides segensreich zu verbinden. Man kann Handel mit Dingen treiben, die das Leben der Menschen bereichern und ihr Herz erfreuen, und man kann gleichzeitig ständig sein Wissen erweitern und nach Weisheit streben.«
Was für schöne, einsichtige Gedanken sie äußerte!
Nun zeigte sie auf ein anderes großes Schiff, das ebenfalls hinaus auf den Fluss gerudert wurde. Es war flacher und schlanker als die Kogge, dafür aber deutlich länger, und es hatte zwei Masten. »Schaut, ein solches Schiff ist hier in Köln ein wirklich seltener Anblick. Es stammt aus dem Mittelmeer. Da, jetzt fangen sie an, die Segel zu setzen! Seht Ihr, dass sie eine andere Form haben als die Rahsegel unserer Schiffe? Es sind dreieckige Lateinersegel.« Sie schloss einen Moment träumerisch die Augen und seufzte. »Ach, was würde ich dafür geben, auf einem solchen Schiff mitfahren zu dürfen! Wer weiß, vielleicht segelt es bis nach Athen, oder gar Konstantinopel.«
Konrad fand Hannah wunderschön, wie sie so nah bei ihm stand und sehnsüchtig aufs Wasser schaute. Dort glitten die beiden Schiffe jetzt majestätisch flussabwärts und ihre großen, vom Wind geblähten Segel leuchteten in der Sonne. Da kam ihm der beunruhigende Gedanke, Hannah könnte tatsächlich in die Ferne reisen. Dann würde er sie vielleicht niemals wiedersehen.
»Nehmt mich mit«, hörte er sich selbst sagen, ohne dass er bewusst darüber nachgedacht hätte. Die Worte kamen wie von selbst aus ihm heraus. »Wenn Ihr auf Reisen geht, nehmt mich mit.«
Da schenkte sie ihm ein wunderbares Lächeln. »So bald wird das nicht geschehen. Aber wir müssen uns unbedingt wiedersehen. Und ich habe eine Bitte: Ich fühle mich so wohl in Eurer Nähe, wir haben so vieles gemeinsam. Können wir nicht das Du benutzen? Das … wäre vertrauter.« Sie hielt ihm ihre Hand hin.
Für einen Moment hatte Konrad Anselms Stimme im Ohr: Du wirst dir nur Probleme einhandeln. Es ist eine Riesendummheit. Zaghaft, vorsichtig, gab er ihr die Hand. Sie legte ihre andere Hand darüber, so dass seine Hand für einen Moment in der Wärme ihrer beiden Hände geborgen war wie ein Vogel, der Schutz gegen die Kälte findet. Alles um ihn herum schien zu verschwinden – der Fluss, das lärmende Treiben der Träger und Schiffer, die Mauern der Stadt. Er sah nur Hannahs Gesicht. »Du musst mich besuchen kommen«, sagte sie leise. »Bitte komm bald. Wer weiß, was über uns hereinbricht, wenn dieser Radulf in der Stadt auftaucht.«
»Ich komme, das verspreche ich dir. Radulf kann uns nicht trennen.« Wieder wusste er nicht, wie ihm geschah. Diese Worte waren einfach da, und er sprach sie aus, gelenkt von einer Kraft, die ganz tief aus seinem Herzen kam und gegen die der Verstand machtlos war.
Hannah umarmte ihn in einer kurzen, scheuen Berührung, dann küsste sie ihn schnell auf die Wange und ging rasch davon. Konrad schaute ihr nach, er spürte noch ihre Lippen auf seinem Gesicht. Simon, der Diener, tauchte plötzlich aus dem Schatten einiger Fässer und Kisten auf und ging vor Hannah her zum Markttor, wo die beiden im Menschengewühl verschwanden.
V ÄTERLICHE V ERNUNFT
E s war still im Haus. Joseph stand im Kontor am Abakus, Ruth war mit Rebekka und Aaron einkaufen gegangen. Hannah saß in ihrem Zimmer auf dem Bett, hielt den Schmetterling des Salomon ben Isaak in der Hand und betrachtete ihn. Irgendwie fand sie die Stille bedrückend. Sie wünschte sich, Konrad wäre da, dann hätte sie mit ihm in die Bibliothek gehen und ihm Ovid vorlesen können, die Amores.
Joseph würde enttäuscht sein, wenn er erfuhr, wie sie sich entschieden hatte. Sie spürte, dass er insgeheim immer noch hoffte, sie ginge mit Salomon nach Speyer, einfach deshalb, weil er Angst um ihre Sicherheit hatte. Auch wenn Joseph das nicht zugab, Hannah wusste, dass er sich große Sorgen darüber machte, was geschehen könnte, wenn Radulf in Köln das Volk aufhetzte. Sie hatte ja erlebt, wie schlecht die Stimmung gegenüber den Juden momentan war.
Ihre Mutter würde aus allen Wolken fallen. Für sie war Salomon ben Isaak ein Geschenk Gottes, das man auf keinen Fall zurückweisen durfte. Vermutlich zog sie gar nicht in Betracht, dass Hannah sich weigern könnte, ihn zu heiraten. Dass ihre Tochter noch nicht mit der
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