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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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Stadt schien überhaupt kein Ende zu nehmen, wenn man einmal in das Häusermeer eingetaucht war. Er fragte sich, wie er es jemals schaffen sollte, sich hier allein zurechtzufinden. Was er als besonders bedrückend empfand, war die Düsternis, die in diesem Labyrinth selbst am helllichten Tag herrschte. Die oberen Geschosse der Häuser ragten weit in die Gassen hinein, so dass nur ein schmaler Streifen Himmel sichtbar blieb. Das war draußen auf den Dörfern ganz anders, und auch in Joseph ben Yehiels schönem Hof. Wie es sich wohl anfühlte, sein ganzes Leben als Knecht oder kleiner Handwerker in diesem ewigen Halbdunkel verbringen zu müssen? Ein Ausflug zum Fluss oder auf die Felder vor der Stadt musste dann jedes Mal eine richtige Erlösung sein. Was für ein Segen waren im Vergleich dazu die großen, hellen Zimmer im Palast!
    Konrad hielt sich dicht neben dem Diener, um ihn nur ja nicht aus den Augen zu verlieren, während sie sich einen Weg durch das lärmende Gewimmel von Menschen, Hunden und Pferden bahnten. Dazu konnte es noch passieren, dass einem plötzlich ein grunzendes Schwein zwischen den Beinen hindurchflitzte! Schweine hielt man sich wie auf dem Land auch hier in der Stadt als Fleischlieferanten. Sie liefen in großer Zahl frei umher und vertilgten den Unrat, der den vielen Menschen, die hier auf engstem Raum zusammenlebten, sonst wahrscheinlich bald über den Kopf gewachsen wäre. Der schmale Streifen Himmel oben zwischen den Dächern war heute leuchtend blau, aber wie sah es in diesen unbefestigten Gassen voller Schmutz wohl bei Regenwetter aus? Und in der warmen Jahreszeit stank es gewiss erbärmlich.
    Im Gegensatz zu Malachias war der jüdische Diener zurückhaltend und still. Vermutlich hatte Anselms knurriges Gepolter den jungen Mann eingeschüchtert. Immerhin hatte Konrad seinen Namen aus ihm herausbekommen: Simon. »Im Vergleich zu diesen Gassen ist das Haus deines Herrn ein richtiger kleiner Garten Eden, nicht wahr?«, sagte Konrad in der Hoffnung, mit Simon ein wenig ins Gespräch zu kommen.
    »Meine Familie wohnt im jüdischen Viertel in einer Gasse, die ganz ähnlich wie diese hier aussieht, Herr«, sagte Simon. »Wenn man es nicht anders kennt, lässt es sich aushalten. Vor allem, wenn man nette Eltern hat und immer etwas Essbares auf den Tisch kommt. Es gibt genug Leute, die gar kein Dach über dem Kopf haben und im Winter irgendwo im Straßengraben erfrieren, ohne dass ein Hahn danach kräht. Ich bin sehr dankbar, dass der ehrwürdige Meister Joseph mir Arbeit gibt und dass ich in der Schul lesen und schreiben lernen durfte, aber ich werde auch niemals vergessen, wo mein Platz ist. Nur dumme Menschen wissen nicht, wo sie hingehören.«
    Wo ist eigentlich mein Platz?, fragte sich Konrad. Ich weiß ja nicht einmal, wo ich herkomme. Wie soll ich also wissen, wo ich hingehöre?
    Sie schwiegen, bis die enge Gasse endete. Nun lag ein riesiger Platz vor ihnen, wo unzählige bunte Zelte und Buden dicht aneinandergereiht standen. Das Gedränge und Geschiebe dazwischen war einfach unglaublich, und ein Lärm stieg zum Himmel, als sei der Turmbau zu Babel in vollem Gange.
    »Gütiger Gott, wo sind wir denn jetzt gelandet?«, stöhnte Konrad.
    »Am Heumarkt, Herr«, erklärte ihm Simon. »Mein Meister Joseph sagt immer, dass dies das Herz von Köln ist.«
    »Müssen wir … da durch?«
    Simon sagte: »Man merkt, dass Ihr mit dem Stadtleben nicht vertraut seid. So viel ist doch heute Nachmittag auf dem Markt gar nicht los. Zum Glück weiß ich einen Schleichweg, auf dem nur wenige Menschen unterwegs sind. Kommt, Herr.«
    Er führte Konrad ein Stück am Rande des Marktplatzes entlang und bog wieder in eine Gasse ein. Nach ein paar Schritten schlug Konrad ein beißender Gestank entgegen. Der Boden der Gasse war gepflastert. Mehrere große Werkstatthäuser reihten sich hier aneinander, und in einem Graben neben der Gasse hatte sich eine grässliche gelbe Brühe gesammelt, die in einem Rinnsal zum Fluss hinabströmte.
    »Das hier ist die Gerbergasse«, sagte Simon zu Konrad, der sich die Nase zuhielt, um wenigstens halbwegs atmen zu können. Kein Wunder, dass hier wenig los war, denn diesen Weg nahm wohl nur, wer unbedingt musste. In den offenen Werkstätten standen riesige Fässer, in denen sich offenbar die Gerberlohe befand. An großen Balkengerüsten hingen Tierhäute zum Trocknen.
    »Die Gerber sind wohlhabende Leute, denn Leder wird immer gebraucht«, sagte Simon. »Aber es ist auch ein Beruf, in

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