Der Mönch und die Jüdin
besteigen, an der Reling zu stehen, wenn das mächtige Schiff ablegte? Würde er selbst jemals auf große Fahrt gehen? Der geschäftige Lärm am Kai machte ihn ganz euphorisch.
Schließlich gelangte er zu dem Stadttor gleich unterhalb des Doms. Er war noch ganz erfüllt von den Gedanken an Hannah und die Wunder der Seefahrt.
Eine breite Treppe führte hier, vorbei an der Kirche Sankt Maria ad gradus, geradewegs zu dem mit Bäumen bestandenen Platz vor dem Palast hinauf. Der Abend brach herein, die Sonne ging gerade im Westen tief über der Stadt unter. Je mehr Konrad sich dem Palast näherte, desto mehr schwand seine Hochstimmung dahin.
Wer war er denn schon? Ein Mönchsnovize am Hof des Erzbischofs. Durfte er überhaupt denken, was er eben die ganze Zeit gedacht hatte? Sehnsucht nach einer Frau – für einen Mönch waren solche Träume eine schwere Sünde. Angenommen, er konnte tatsächlich bei Anselm in Köln bleiben – was war er dann? Ein junger Geistlicher, der im Dienst des Erzbischofs im Palast arbeiten würde. Mit Sicherheit würde der Bischof von ihm verlangen, dass er die Profess ablegte – also Mönch auf Lebenszeit wurde – und an der Domschule seine theologische Bildung vertiefte.
Welche Zukunft gab es also für ihn und Hannah? Weiter nichts als eine distanzierte, höfliche Freundschaft, und selbst das würde vermutlich schon für Gerede und Unverständnis sorgen, sowohl im Palast wie auch in Hannahs Familie.
Aber als sie vorhin am Hafen gestanden hatten, als seine Hand in ihren sanften, warmen Händen ruhte, da war es für einen kurzen Moment so gewesen, als wäre er ein Teil von ihr und sie ein Teil von ihm. Immer noch spürte er etwas von dieser glückseligen Wärme. Bei dem Gedanken, Hannah niemals wiederzusehen, nie wieder ihre Hand halten zu dürfen, fühlte er sich innerlich ganz kalt und leer.
Als er den Palasthof betrat, fiel ihm Vagabundus ein. Vielleicht würde er etwas Trost finden, wenn er nach seinem vierbeinigen Freund sah. Er bat eine Wache, die ihn zu seiner Überraschung sofort erkannte und sich ehrerbietig verneigte, ihm den Weg zu den Ställen zu erklären. Die Ställe waren viel größer als auf der Wolkenburg, hell und sauber. Ein Knecht führte Konrad zur Box seines Pferdes. Vagabundus war gut versorgt und schnaubte zur Begrüßung. Konrad streichelte ihm den Knopf und redete leise mit ihm. Er spürte Lust, wieder zu reiten und unterwegs zu sein.
Die erhoffte Linderung für seine Verwirrung brachte der Besuch bei Vagabundus jedoch nicht. Konrad konnte an nichts anderes denken als an Hannah und seine Zukunft. Das Leben im Kloster, die Existenz als Mönch im sicheren Schoß der Mutter Kirche war alles, was er kannte. Vielleicht hatte es ein Vorher gegeben, bevor die Pforten des Klosters sich hinter ihm geschlossen hatten, doch diese Erinnerung war ihm versperrt. Das klösterliche Leben war seine Heimat, und wenn er das aufgab, würde er in eine fremde, erschreckend unbekannte Welt stürzen, für die er nicht gerüstet war.
Immerhin, das Fernweh, das er am Hafen gespürt hatte, konnte er auch als Mönch stillen. Anselm hatte ihm ja bereits angeboten, dass Konrad ihn als Sekretär auf seinen Reisen begleiten konnte.
Doch das hieß, auf Hannah zu verzichten, denn zu lieben war einem Mönch nur auf zwei Arten erlaubt: Gottesliebe und christliche Nächstenliebe. Ansonsten blieben vielleicht noch heimliche, peinliche Besuche im Badehaus. Aber die Vorstellung, es in dieser Hinsicht wie Anselm zu machen, widerte Konrad an.
Als er den Stall verließ, wurde es draußen dunkel, und ein Wächter zündete im Palasthof Fackeln an. Eine ihn ganz und gar ergreifende und durchdringende Sehnsucht nach Hannah zerrte an ihm. Er fühlte eine Gemeinsamkeit mit ihr wie mit keinem anderen Menschen. Nie hatte er gedacht, dass es so etwas geben könnte. Er überlegte, ob er sich Gilbert anvertrauen sollte, ihn um Rat fragen. Doch was sollte der ihm antworten? Er ahnte, wozu Gilbert ihm raten würde, Anselm hatte es ja schon gesagt: Sei vernünftig, konzentriere dich auf deine Bestimmung als Mönch. Alles andere hat keine Zukunft.
In der jetzt düsteren, von Kerzenleuchtern nur matt erhellten Halle des Palastes begegnete ihm Malachias. »Ah, hast du dir die Stadt angesehen?«, fragte er.
»Der Hafen ist aufregend«, sagte Konrad kurz angebunden. Hannah erwähnte er vorsichtshalber nicht. Zumal er bei Malachias das Gefühl hatte, dass alles, was man ihm erzählte, am nächsten Tag der ganze
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