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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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blickten erwartungsvoll in die Runde und freuten sich offenbar auf das Spektakel, das jetzt kommen würde. Wahrscheinlich wollten sie dabei kräftig mitmischen. Um Radulf und sein benediktinisches Sprachrohr scharten sich die Mönche, die auch in Bonn in der Menge postiert worden waren, um die Stimmung anzuheizen. Radulf gab ihnen Anweisungen, dann schwärmten sie blitzschnell aus und tauchten im Gedränge unter. Es war beklemmend, das Ganze von der Tribüne aus beobachten zu müssen, ohne einschreiten zu können. »Kannst du denn nicht deine Leute in die Menge schicken, damit sie Radulf und seine Helfer unschädlich machen?«, fragte Konrad. Anselm schüttelte den Kopf. »Zu spät! Hier sind zu viele Leute versammelt. Da müssten wir schon den ganzen Pöbel auseinandertreiben. Das gäbe ein fürchterliches Gemetzel.«
    Nachdem der Seneschall die ganze Zeit nur nervös auf seinem Stuhl hin und her gerutscht war und an seinem Ornat gezupft hatte, meldete er sich jetzt zum ersten Mal zu Wort. »Gütiger Gott, steh uns bei«, stöhnte er leise.
    Konrad wurde unvermittelt klar, dass er sofort zu Hannah musste. Dies war der Platz, wo er jetzt hingehörte. Er wollte bei ihr sein und sie beschützen so gut es ging. Dieser Wunsch war so stark, dass Konrad alle Gedanken der Höflichkeit und Etikette vergaß. Er sagte eilig zu Anselm: »Hannah steht in der ersten Reihe. Ich muss zu ihr.«
    Ehe der Mönchsritter etwas sagen konnte, war Konrad aufgesprungen, die Stufen von der Tribüne hinuntergeeilt und bahnte sich einen Weg durch das Gedränge. Und dann war er bei ihr. »Konrad!« Sie umarmte ihn.
    »Hannah! Radulf ist auf dem Platz. Lass uns schnell weg von hier! Ich bringe dich nach Hause.«
    Simon sagte: »Ja, Herrin, er hat recht! Ich spüre, dass sich hier etwas Übles zusammenbraut. Besser wir gehen nach Hause. Jetzt gleich!«
    »Radulf?«, sagte Hannah, die für den Augenblick völlig verzückt wirkte, weil Konrad bei ihr war. »Der Hassprediger?«
    »Ja, Hannah«, sagte Konrad. »Bestimmt wird es hier sehr gefährlich. Die Menge ist völlig in Aufruhr.«
    Hannah schüttelte den Kopf. »Jetzt, wo du bei mir bist, habe ich keine Angst.«
    »Aber …« Konrad war irritiert. Er hatte erwartet, dass sie sofort mitkommen würde. Es war doch völlig unvernünftig, noch länger hier in der Gefahr zu bleiben!
    »Lass uns noch etwas warten, ja? Bis jetzt ist nichts Gefährliches geschehen. Lass uns gemeinsam beobachten, was hier vor sich geht. Vielleicht können wir es verstehen und etwas daraus lernen. Weglaufen können wir immer noch.« Hannahs Augen leuchteten wach und neugierig. Konrad musste daran denken, was sie während des Abendessens in ihrem Elternhaus zu ihm gesagt hatte: Und deshalb zieht es uns hinaus in die Ferne – weil wir lernen, wissen, verstehen wollen …
    Konrad hatte in Bonn erlebt, was geschehen konnte, wenn Radulf predigte. Er war nicht darauf erpicht, noch mehr von dieser Lektion zu lernen. Der Schweiß brach ihm aus. Liebend gerne wäre er auf der Stelle von diesem Platz geflüchtet. Aber er war fest entschlossen, nicht von Hannahs Seite zu weichen. »Na gut, wenn du meinst …«
    Hannah wandte sich ihrem Diener zu: »Simon, du musst nicht bleiben. Wenn es dir hier zu unsicher wird, geh nur nach Hause.«
    Er wirkte gekränkt, schob trotzig das Kinn nach vorne und erwiderte: »Ich werde bei Euch bleiben, Herrin. Auf keinen Fall lasse ich Euch im Stich.« Er schlug seine Jacke zurück und klopfte auf das Messer, das darunter am Gürtel hing. »Ich werde Euch und auch Herrn Konrad beschützen.«
    Ehe sie weiter darüber diskutieren konnten, geschah etwas Unheimliches, das Konrad beinahe vorkam wie ein böser Zauber. Eine Stimme rief: »Macht Platz für den neuen Apostel! Macht Platz für Radulf, den Propheten!«
    Und ob es nun an Radulfs beeindruckender Ausstrahlung lag oder an dem Ruf, der ihm den Rhein hinab vorausgeeilt war – die Menge teilte sich vor ihm wie sich einst das Meer vor Mose geteilt hatte, und es bildete sich eine Gasse, durch die Radulf und sein schwarzgekleideter Übersetzer nach vorn schritten bis an die Tribüne.
    Radulf schaute mit strenger Miene zu Arnold und seinem Gefolge hinauf, die seltsam gebannt und untätig wirkten. Dann drehte er sich um und wandte sich an die Menge.
    »Volk von Köln! Warum nennt man mich den neuen Apostel? Mit welchem Recht ziehe ich durchs Land und verkünde Gottes Wort? Gott selbst hat mir diesen Auftrag erteilt, sonst würde ich es niemals wagen, in

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