Der Mönch und die Jüdin
widerrufen und Buße tun.«
Everwin war jetzt bleich vor Zorn. »Schweig! Du lästerst den Herrn, wenn du die von ihm gesalbten Diener der Kirche auf solche Weise beschuldigst!«
Arnold drehte sich erneut zu Anselm und Gilbert um. »Habe ich euch nicht gesagt, dass sie gefährlich sind?«
»Aber die Menge will von seinem Gerede nichts wissen«, erwiderte Anselm. »Hörst du nicht, wie sie murren?«
Auch Konrad hörte die Rufe, die aus der Menschenmasse heraufschallten: »Schweig! Du lästerst Gott! Hört nicht auf ihn! Er ist des Teufels!« Er selbst fand die Worte des Mannes aber durchaus bedenkenswert. Abt Balduin hatte fromm und bescheiden gelebt. Auch auf Gilbert traf das gewiss zu. Was aber war beispielsweise mit Erzbischof Arnold?
Der Sprecher der Häretiker rief: »Aber ich sage dir, Everwin, du kannst das, was wir sagen, nicht widerlegen! Du kannst uns keine Sünde wider Jesus Christus nachweisen. Sprecht uns frei, ihr hohen Herren, denn wir haben uns nichts zuschulden kommen lassen! Doch ich sage auch: Der Tod hat für uns keinen Schrecken. Wir sind geborgen in Gott und fürchten nichts und niemanden! Nichts Süßeres gibt es für uns, als für unseren Glauben zu sterben, denn der Tod bringt uns geradewegs zu unserem Erlöser ins Paradies. Ihr seht also: Selbst wenn ihr uns mit dem Tode bedroht, werden wir nicht abschwören, denn wir fürchten den Tod nicht! Mehr habe ich nicht zu sagen.« Damit setzte sich der Mann wieder hin und starrte das Gericht stolz und aufrecht, geradezu herausfordernd an.
Dieser selbsternannte ›Arme Christi‹ mochte ein frommes Leben führen, doch im Gegensatz zu Gilbert strahlte er eine Selbstgerechtigkeit aus, die Konrad zutiefst unsympathisch war.
»Alter Narr!«, knurrte Anselm. »Das ist es doch, wonach die Menge lechzt. Sie wollen Blut sehen. Dein Blut und das Blut deiner neun Freunde. Und dieser Schwachkopf stellt das auch noch selbst in den Raum!«
»Man könnte fast meinen, er legt es darauf an«, murmelte der Erzbischof fassungslos. »Wie kann jemand so verrückt und fanatisch sein?«
Everwin machte plötzlich einen nervösen Eindruck. »Die Todesstrafe steht überhaupt nicht zur Debatte«, sagte er rasch. »Die Vergehen, von denen hier die Rede ist, erfordern keine so schwere Bestrafung. Bestraft werden müsst ihr, das ist gewiss. Aber weder der Herr Erzbischof noch ich beabsichtigen, euch das Leben zu nehmen. Das wäre eine unverhältnismäßige Strafe.« Zum ersten Mal blickte er fragend zu Arnold hinüber, spürbar verunsichert.
Da entdeckte Konrad unten in der Menge auf vielen Gesichtern das, was ihn schon in Bonn so erschreckt und abgestoßen hatte. Er musste an Gilberts Worte denken: Das einfache Volk lebt in Angst und ohne Bildung, und solche Menschen fühlen sich ständig bedroht durch alles Fremde, Unverstandene – das können die Juden sein mit ihren geheimnisvollen Riten und Bräuchen, das können christliche Häretiker sein oder Kräuterweiblein, von denen man glaubt, dass sie das Vieh verhexen oder Hagelschlag herbeizaubern. Man tötet die Außenseiter, die verdächtigt werden, einen schädlichen, bösen Einfluss auszuüben. In der Menge erwachte der Dämon des Hasses.
Und während Konrad ängstlich den Blick über den Platz schweifen ließ, bemerkte er unter einem Dachvorsprung eine Gruppe von Männern, die offenbar etwas Wichtiges zu besprechen hatten. Er erkannte den jungen Mann, der Hannah so übel mitgespielt hatte: Godefrid Hardefust, und da waren auch seine Kumpane. Die älteren, vornehm gekleideten Herren – waren das vielleicht die Väter dieser missratenen Patriziersöhne? Die beiden Männer, die bei ihnen standen und sich mit ihnen besprachen, kannte Konrad auch: Der eine war ein unscheinbarer, schwarz gekleideter Benediktinermönch. Der andere trug das weiße Zisterzienserhabit und hatte ein hartes, wie aus Stein gemeißeltes Gesicht und eine markante Adlernase.
Aufgeregt klopfte Konrad Anselm auf die Schulter. »Da hinten! Radulf und der Benediktiner!«, flüsterte er ihm zu.
Als Anselm in die Richtung schaute, die Konrad ihm zeigte, zischte er: »Verflucht! Und bei ihnen sind die Hardefusts und die Overstolzens, die ganze Patrizierbande! Da haben sich ja die Richtigen zusammengefunden.« Er beugte sich vor und flüsterte dem Erzbischof ins Ohr.
Nun verschwanden die feinen älteren Herren rasch in einer Gasse, wollten mit dem, was nun geschah, wohl lieber nicht in Verbindung gebracht werden. Ihre Söhne aber blieben da,
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