Der Mönch und die Jüdin
die Rufe aus dem Volk selbst kamen oder von Radulfs Einpeitschern.
»Und ich sage euch, es ist eine Schlange hier in die Mauern von Köln eingedrungen, die viel schlimmer ist als irgendeine durchs Gesträuch kriechende Natter! Ich sage euch, der Teufel ist mitten unter euch!«
Diabolus! Den Menschen stand die Furcht ins Gesicht geschrieben.
Radulf hob seinen Pilgerstab und zeigte auf die vier Frauen und sechs Männer, die ›Armen Christi‹. »Seht ihr nicht ihre filzigen Haare und ihre verschlagenen Augen? Seht ihr nicht, dass ihnen das Zeichen des Satans auf die Stirn geschrieben ist? Auch wenn ihr nicht imstande seid, es zu sehen, ich kann das widerliche Zeichen sehen, denn der Herr hat meine Augen erleuchtet.«
Der ständige Wechsel zwischen Radulfs donnernden lateinischen Sätzen, kurzer Stille und dann der ruhigeren Übersetzung des Benediktiners hatte etwas Magisches. Die Menschen wurden von Radulfs gewaltiger Stimme in Bann gezogen, und immer wieder stiegen aus dem tosenden Klang seines Redeschwalls einzelne Worte auf, die alle verstanden – dominus , diabolus. Dann lauschten sie der Übersetzung und warteten gespannt, was er als Nächstes sagen würde. Hätte er auf Deutsch gepredigt, wäre die Wirkung möglicherweise längst nicht so eindrucksvoll gewesen wie bei diesem geradezu liturgischen Wechselgesang.
Sogar Arnold und die meisten seiner Gefolgsleute wirkten erstarrt, wie hypnotisiert. Nur bei Anselm schien der Zisterzienser keine Wirkung zu erzielen. Der Mönchsritter ballte die Fäuste und starrte wütend auf Radulf herunter, aber offenbar hatte Arnold ihm untersagt, einzuschreiten, und so war er zur Untätigkeit verdammt.
Ganz unbewusst hatte Konrad den Arm um Hannah gelegt, und sie schmiegte sich an ihn, so dass er spüren konnte, wie angespannt und aufgeregt sie war.
»Die ›Armen Christi‹ nennen sie sich!« Radulf verzog verächtlich das Gesicht. »Verführen wollen sie euch! Folgt uns nach, sagen sie. Wir weisen euch den Weg zu Jesus Christus. Sie tarnen sich geschickt und geben sich so bescheiden und fromm, dass man meinen könnte, der Herr Jesus müsste seine Freude an ihnen haben. Doch Gott hat mir gesagt, wohin der Pfad, auf den sie euch locken wollen, in Wahrheit führt: geradewegs zu ihrem wahren Herrn. Sie wollen euch hinabziehen in die ewige Verdammnis, denn sie sind Diener des Teufels!«
Es war beängstigend, wie es in der Menge immer mehr zu brodeln begann. Konrad konnte es fast körperlich spüren.
Es schien, als übertrage Radulf eine schreckliche Energie auf die Massen, eine Energie, die nach Blut lechzte und Opfer forderte. Für einen Moment ließ Konrad, während der Benediktiner übersetzte, seinen Blick durch die Umgebung schweifen, und da entdeckte er etwas, das ihn mit noch größerem Entsetzen erfüllte:
Zwei große Pferdewagen rollten auf den Platz, die wohl längst in einer Gasse bereitgestanden hatten, gut vorbereitet von jenen, die hinter diesem Schauspiel die Fäden zogen – die Patrizier, da war Konrad sicher. Warum hätten sie sonst mit Radulf die Köpfe zusammenstecken sollen?
Holz und Reisigbündel lagen auf den Wagen, und lange Pfähle. Tief in Konrad regte sich etwas, ein stummes Grauen, das nach seinen Eingeweiden griff wie eine eiserne Hand.
»Es gibt nur einen Weg, eure Stadt wieder vom Teufel zu befreien. Gottes Wille ist es, dass wir die Diener des Teufels bekämpfen sollen, wo immer sie brave Christenmenschen in Versuchung führen. Wenn ihr Gott dienen wollt, dann müsst ihr seine Feinde unbarmherzig ausrotten. Rettet euer Seelenheil! Rettet das Seelenheil eurer Frauen und Kinder! Ins Feuer mit den Satansdienern! Ins Feuer!«
Nun endlich sprang Arnold auf. Er breitete die Arme aus und rief: »Hört nicht auf diesen Verrückten! Er ist verblendet! Ich bin euer Bischof. Ich sage euch, dass diese Menschen dort keine Teufelsanbeter sind! Sie verkünden Irrlehren, das ist wahr. Aber sie dienen nicht dem Teufel. Wir werden sie in angemessener Weise bestrafen, und wenn sie bereuen und Abbitte leisten, werden wir barmherzig sein, wie es sich für gute Christen gehört. Aber den Tod haben sie nicht verdient. Ich verbiete es euch, sie anzurühren!«
Doch mit seiner dünnen Stimme drang er überhaupt nicht durch. Wut und Hilflosigkeit spiegelten sich in seinem Gesicht, denn niemand beachtete ihn. Die Menge raste. Immer mehr Menschen skandierten, von Radulfs Mönchen angestachelt: »Ins Feuer! Ins Feuer mit den Satansdienern! Ins Feuer!«
Radulf
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