Der Mönch und die Jüdin
Konrad in Bonn erlebt. Radulf führte einen Kreuzzug gegen die Juden.
Aufgeregt fasste Konrad Hannah bei den Schultern. »Hannah, wir müssen schnellstens etwas unternehmen! Der Mord an den ›Armen Christi‹ war für Radulf nur ein grässliches Vorspiel. Schau dir die fanatisierten Menschenmassen dort draußen an! Jetzt wird Radulf dieses tausendköpfige Ungeheuer gegen seinen eigentlichen Feind in Marsch setzen.«
Hannahs Augen weiteten sich.
»Ich laufe schnell und suche Anselm«, sagte Konrad. »Er muss alle erzbischöflichen Ritter und Fußtruppen sofort in Marsch setzen, um das jüdische Viertel zu schützen! Wartet hier auf mich.«
»Ich glaube, er ist im Chor«, vermutete Simon. »Ich habe die Wachen sagen hören, dass der Bischof sich dort aufhält.«
Konrad rannte los. Jegliche Schwäche war von ihm abgefallen. Das lag zum Teil an dieser unbändigen Kraft, die er in sich spürte, seit sich der Schleier vor seinen Kindheitserinnerungen zu lüften begonnen hatte. Zum anderen wuchs er durch seine Sorge um Hannah über sich selbst hinaus. Ich darf nicht zulassen, dachte er, dass alles, was sie liebt und woran sie hängt, in Schutt und Asche gelegt wird.
Er durchschaute jetzt, wie hinterhältig der Plan der Patrizier war: Vielleicht hatten sie Radulf etliche kostbare Silberpfennige dafür bezahlt, dass er nach Köln kam. Vielleicht war das aber auch gar nicht nötig gewesen, und Radulf war aus eigenem Antrieb hierhergekommen. Jedenfalls hatten sie zunächst die Verbrennung der Häretiker als großes Massenspektakel inszeniert, um die dadurch aufgewiegelten Menschenmassen dann gegen das eigentliche Ziel zu lenken: die Kölner Judengemeinde.
Hannah hatte ihm an jenem Abend in der Bibliothek erzählt, dass die Patrizier den Juden nicht wohlgesonnen waren, sondern sie als unliebsame Konkurrenz betrachteten. Nun bot sich den vornehmen Kaufleuten von Köln eine einmalige Gelegenheit, sich diese lästige Konkurrenz, die eine bedeutende wirtschaftliche Macht innehatte, ein für alle Mal vom Hals zu schaffen.
Wie Simon vermutet hatte, hielt sich der Bischof mit seinem Gefolge im Domchor auf. Der Seneschall stand am Altar und betete laut. Im Chorgestühl saßen die Kölner Domherren, viele mit andächtig geschlossenen Augen. Konrad ahnte, dass Gebete nicht ausreichen würden, um das drohende Unheil abzuwenden – falls die Domherren am Schicksal der Juden überhaupt Anteil nahmen. Arnold betete nicht. Er saß mit Anselm etwas abseits, in ein ernstes Gespräch vertieft. Gilbert war bei ihnen.
»Verzeiht, Ihr Herren!«, sagte Konrad atemlos. »Aber ich muss dich dringend sprechen, Anselm.«
Anselm war offenbar ehrlich überrascht, Konrad schon wieder munter auf den Beinen zu sehen. Er lächelte sogar.
Arnold dagegen blickte verärgert auf. Erschrocken fiel Konrad ein, dass er sich vor lauter Hast noch nicht einmal verneigt hatte, wie es sich eigentlich geziemte. Das holte er rasch nach, dann sprudelte es aus ihm heraus: »Radulf ist auf die Tribüne gestiegen und hetzt jetzt gegen die Juden! Wenn die aufgebrachte Menge das jüdische Viertel stürmt, wird es ein schreckliches Blutbad geben. Anselm, du musst mit deinen Rittern sofort zum jüdischen Viertel und es gegen die Menschenmassen abriegeln!«
Arnold machte nun kein ärgerliches Gesicht mehr, sondern warf Konrad einen bekümmerten Blick zu. Der Erzbischof erhob sich, klopfte Anselm auf die Schulter und sagte: »Erklär du es ihm.« Dann ging er mit müden Schritten hinüber zu den Chorherren und setzte sich auf seinen Platz im Chorgestühl.
»Das, was du da vorschlägst, würde ich gerne tun, Konrad, wenn ich vier- oder fünfmal so viele Männer zur Verfügung hätte«, sagte Anselm. »Aber so, wie die Dinge nun einmal stehen, wäre es ein sinnloses Unterfangen, diese Masse von inzwischen gut und gerne eintausendfünfhundert, vielleicht schon zweitausend Menschen aufhalten zu wollen. Genauso gut könntest du versuchen, das Rheinhochwasser mit bloßen Händen zu stoppen. Wir können nichts tun, mein Junge. Für eine offene Feldschlacht gegen ein anderes Heer ist Arnolds Ritterheer gut gerüstet, aber auf den vielen, unüberschaubaren Gassen und Plätzen Kölns gegen eine solche Menschenmasse vorzugehen, ist eine ganz andere Sache. Auch wenn wir zusätzlich unsere Ritter und Fußsoldaten, die drüben im Deutzer Kastell stationiert sind, über den Rhein holen, würde das die Lage kaum verändern. Ich bin schließlich für die Männer verantwortlich und will
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