Der Mönch und die Jüdin
tot am Boden lag. Wieder einmal hatte Anselm ihm und vielen anderen das Leben gerettet.
Es gelang Konrad und Gilbert gerade noch, sich mit ihren Pferden auf die völlig überfüllte Fähre zu quetschen, deren Reling nur mehr einige Handbreit übers Wasser ragte. Aber wenigstens war diese Fähre deutlich stabiler als der Kahn in Vineberg. Sie war riesengroß und solide und schien durchaus geeignet, alle unbeschadet ans andere Ufer zu schaffen. Konrad blickte rheinaufwärts und sah, dass auch die beiden anderen Fähren vollbeladen waren. Nur noch eine relativ kleine Schar von vierzig oder fünfzig Juden blieb am Kai zurück und versuchte nun, sich auf einigen kleineren Kähnen und Booten in Sicherheit zu bringen.
Ein Stück flussaufwärts ragte das mächtige Steinhaus der Hardefusts in den Himmel, das Konrad schon bei seinem ersten Besuch am Hafen so fasziniert hatte. Als er dorthin schaute, fiel ihm auf, dass die große, mit Zinnen bewehrte Terrasse des Hauses voller Menschen war. Handelte es sich um Schaulustige, die das Spektakel am Hafen beobachteten? Konrad sah, dass auf der Terrasse Fackeln aufgestellt waren. Irgendetwas dort oben beunruhigte ihn. Nach dem, was er auf dem Domplatz beobachtet hatte, zweifelte er nicht daran, dass die Hardefusts zu den Drahtziehern der grausamen Hetze gegen die Juden gehörten.
Konrad spähte angestrengt in der Abenddämmerung zu der Terrasse hinauf. Jetzt erkannte er, was die vielen Männer dort taten.
Sie trugen Bögen und hielten ihre Pfeile an die Fackeln. Die offenbar mit Öl getränkten Pfeilspitzen entzündeten sich sofort und brannten lichterloh. Da begriff Konrad und schrie so laut er konnte, mit allem, was seine Stimme hergab: »Bogenschützen auf dem Hardefust-Haus! Achtung, Brandpfeile!«
Sein Ruf wurde gehört und von Schiff zu Schiff weitergetragen. Man band die Fähren schnell los, die Rudermannschaften legten sich in die Riemen, was das Zeug hielt. Aber schon prasselte der erste Pfeilhagel heran. Das Boot, auf dem Konrad sich befand, war zum Glück zu weit entfernt. Die brennenden Pfeile erreichten es nicht und fielen zischend ins Wasser, ohne Schaden anzurichten.
Auf dem zweiten Boot gab es einige Treffer, die jedoch schnell gelöscht werden konnten. Die dritte Fähre aber, die am weitesten rheinaufwärts gelegen hatte, war dem Pfeilhagel schutzlos ausgesetzt. Sicher dreißig oder mehr Brandpfeile prasselten auf das Deck der Fähre, wo sofort an mehreren Stellen Feuer ausbrachen. Und dann jagte auch schon der zweite flammende Pfeilregen durch den Himmel. Da die Ruderer sich gewaltig anstrengten, hatte das Schiff sich nun schon ein gutes Stück vom Ufer entfernt, aber ein großer Teil der Pfeile erreichte dennoch sein Ziel.
Konrad sah entsetzt, wie das Schiff lichterloh zu brennen anfing. Es hielt nun nicht mehr mit den beiden anderen Fähren mit, weil die Ruderer entweder tot waren oder sich mit einem Sprung ins Wasser in Sicherheit gebracht hatten.
Auch viele Juden sprangen ins Wasser, manche brennend wie lebendige Fackeln. Dann brach das gänzlich in Flammen stehende Schiff mit donnerndem Krachen auseinander und versank in den Fluten des Rheins. Das Wasser war so früh im Jahr noch eisig kalt. Konrad bezweifelte, dass es viele der Unglücklichen ans andere Ufer schaffen würden. Manche wurden von den kleineren Booten aufgenommen, aber viele Menschen ertranken. Die ganze Zeit, während seine Fähre den Fluss überquerte, hielt Konrad verzweifelt Ausschau nach Hannah.
***
Joseph stand am Fenster der Bibliothek und blickte hinunter auf den Hof seines Hauses. Durch das offene Fenster drang der Lärm des wütenden Mobs, der durch die Gassen des jüdischen Viertels tobte. Brandgeruch lag in der Luft. Der Abendhimmel war feuerrot, als ob auch er brennen würde. In all den Jahren war Josephs Haus mit der Bibliothek ein Ort des Friedens und der Inspiration gewesen. Nicht nur für Hannah und ihn war die Bibliothek das Wichtigste im ganzen Haus, er hatte oft auch das Gefühl gehabt, dass seine Gäste etwas von der Energie, die sie ausstrahlte, mitgenommen und in die Welt getragen hatten.
Joseph war der felsenfesten Überzeugung, dass es niemals vergeblich ist, Schönheit und Harmonie in die Welt zu bringen. Irgendwann würde die Menschheit vom Gift des Hasses befreit sein, dessen war er sicher. Aber er war niemals so naiv gewesen, zu hoffen, dass er selbst das noch erleben würde. In fünfhundert Jahren würde es vielleicht so weit sein, oder in tausend. Die
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