Der Mönch und die Jüdin
schlief er ein.
Als die schreienden Männer mit den Fackeln in den Hof von Josephs Haus stürmten, befand sich nur noch sein Körper in der Bibliothek. Josephs Seele war fortgegangen.
***
Der Anführer der Mordbrenner und Totschläger war der lange Thietbert, der Vorarbeiter der Schauerleute vom Koggenkai. Er hatte oft Waren in Josephs Kontor transportiert. Joseph hatte diesen wortkargen, mürrischen Burschen zwar nie sonderlich sympathisch gefunden, ihn aber immer freundlieh behandelt und großzügig entlohnt. Doch das schien für Thietbert jetzt keine Rolle mehr zu spielen.
»Hier wohnt eine besonders reiche Judensau!«, rief er. »Wenn noch Menschen hier sind, schlagt sie alle tot. Dann plündern wir diesen Palast, den sich der alte Jude zusammengestohlen hat, und zünden alles an!«
Sie plünderten die Halle von Josephs Haus, wo er im Lauf der Jahre unzählige Gäste freundlich bewirtet hatte, wo Christen stets ebenso herzlich willkommen gewesen waren wie Juden und wo, in einer Atmosphäre der Toleranz und gegenseitigen Wertschätzung, geistiger Austausch gepflegt worden war. Als sie gierig so viel zusammengerafft hatten, wie sie tragen konnten, schaute einer von ihnen die Treppe hoch. »Was ist dort?«, fragte er.
Thietbert erwiderte: »Nichts. Nur Bücher. Der alte Narr hat ein Vermögen für Bücher ausgegeben. So ein Schwachsinn! Los, wir stecken das Haus in Brand!« Die Männer legten an mehreren Ecken Feuer und machten sich davon.
Es war wieder still in der Halle. Nur die Flammen knisterten leise, züngelten am Gebälk empor. Dabei wuchs ihre Kraft – prasselnd und krachend kletterten sie durch Stützpfeiler und Decken. Sie tanzten wie Gespenster durch die geheime Höhle, wo Hannah einst – gebannt Josephs Stimme lauschend – ihre ersten literarischen Reisen unternommen hatte. Von dort huschte das Feuer über den Holzboden bis zur Sitznische am Fenster. Die Hitze ließ das Fensterglas bersten, und von dem frischen Luftzug angefacht loderten die Flammen mächtig empor. Josephs sterbliche Hülle verging zusammen mit seinen Büchern. Gierig verschlang das Feuer sämtliche Folianten, Pergamente und Papyri.
Josephs wunderbarer Schatz der Weisheit wurde vollständig vernichtet. Nichts blieb davon übrig als Asche und winzige, gelblich-schwarz verkohlte Fetzen, die der Wind aus dem schwelenden Gerippe des Hauses davontrug. Sie regneten auf erschlagene Menschen herab und wehten durch verwüstete Gassen.
Z WISCHEN V ERGANGENHEIT
UND Z UKUNFT
H annah saß erschöpft auf dem Boden, den Rücken an das Rad von Nathans Frachtwagen gelehnt. Sie hatten schon ein ganzes Stück Wegstrecke zurückgelegt, die Stadt ihrer Kindheit lag auf der anderen Seite des Flusses. Dort drüben, weit weg am anderen Ufer, wo ihr Zuhause gewesen war, wo sie und die anderen Kinder durch die Gassen getobt waren und mit Murmeln und Kreiseln gespielt hatten, loderten immer noch einzelne Brände. Doch inzwischen war die Nacht hereingebrochen, und die Feuer erloschen allmählich. Die rasende Zerstörungswut schien zu verebben.
Es hatte immer noch eine winzige Hoffnung in Hannah gekeimt, ihr Vater könnte vielleicht doch überlebt haben, aber dann waren die berittenen Kundschafter eingetroffen, die Anselm von Berg in Köln zurückgelassen hatte. Sie hatten berichtet, dass das ganze jüdische Viertel in Schutt und Asche lag. Die Brände, die von aufgestachelten Feuerteufeln gelegt worden waren, hatten sogar noch auf einige benachbarte christliche Gassen übergegriffen. Das ganze Viertel sei zu einem schrecklichen Ort des Todes geworden, hieß es. Alle Juden, die dortgeblieben waren, seien entweder verbrannt oder erschlagen worden.
Geweint hatte Hannah nicht, als diese schlimme Nachricht die Runde gemacht hatte. Ein harter, bitterer, tränenloser Schmerz erfüllte sie. Sie waren an Bord der mittleren Fähre gegangen. Ganz kurz hatte sie von der Reling aus Konrad gesehen, aber er hatte gerade nicht in ihre Richtung geschaut, als sie ihm zuwinkte. Er hatte mit Gilbert alten Menschen von einem beschädigten Wagen auf die dritte, am weitesten flussabwärts liegende Fähre geholfen. Dann war Hannah von den vielen Leuten, die auf das Deck drängten, immer weiter zur anderen Seite ihrer Fähre geschoben worden und hatte Konrad aus den Augen verloren. Bis sein lauter Warnruf zu ihnen herüberschallte. Sie hatte seine Stimme sofort erkannt. Entsetzt sah sie, wie die brennenden Pfeile heranjagten. Einer schlug dicht neben ihr in einen Fahnenmast,
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