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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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aufbewahren.
    Der Platz leerte sich. Die Juden, die sich zum Bleiben entschlossen hatten, verbarrikadierten sich in ihren Häusern und der Synagoge. Und endlich preschte Anselm mit seinen Rittern auf den Platz. Er führte Vagabundus am Zügel, ein anderer Ritter führte Gilberts Pferd. »Los, aufsitzen! Schnell!«, rief Anselm. »Der Pöbel stürmt schon durch die Gassen! Wir geleiten die Juden zum Rhein. Ich habe die Fähren beschlagnahmen lassen, damit alle heil über den Fluss kommen.«
    Konrad und Gilbert schwangen sich in den Sattel. Jetzt hörte Konrad bereits die Parolen durch die Gassen hallen. »Tod den Juden! Tod den Juden!«
    Und darüber erhob sich grell Radulfs schreckliche Stimme. »Die Juden sind Diener des Teufels! Tötet die Freunde Satans! Brennt ihre Häuser nieder! Befreit eure Stadt von dem bösen Feind!«
    Konrad ritt hinter Gilbert und Anselm her. Einen Moment lang fühlte er sich im Sattel wieder wie ein blutiger Anfänger und hatte alle Mühe, sich oben zu halten. Rings um ihn trabten die erzbischöflichen Ritter. Zwischendrin liefen einige Nachzügler der jüdischen Gemeinde. Aber auf Vagabundus war Verlass. Er wich allen Hindernissen sicher aus, so dass Konrad sich nur darum kümmern musste, nicht aus dem Sattel zu fallen. Sie ritten durch die breite Gasse, die vom Judenviertel nördlich des Heumarkts zum Rheinufer führte. Anselm schien überall zugleich zu sein, rief Befehle und schaffte es, die Leute zusammenzuhalten, ohne dass eine Panik ausbrach.
    Konrad hatte Hannahs Buch sicher in seiner Satteltasche verstaut. Der Wagen, auf dem sie saß, rollte ein ganzes Stück weiter vorn, aber Konrad ließ ihn nicht aus den Augen. Er schwor sich, Hannah beizustehen und sobald wie möglich wieder Kontakt mit ihr aufzunehmen. Doch jetzt galt es erst einmal, diesen Ritt inmitten der Menschenmenge zum Fluss zu überstehen. Glücklicherweise wurde das fanatische Geschrei hinter ihnen leiser. Offenbar hatte der Pöbel es auf das Viertel selbst abgesehen und auf die Unglücklichen, die dort ausharrten. Vielleicht würde Hannah nie mehr hierher zurückkehren können. Konrad würde sein Versprechen halten, und ihr zur Seite stehen, so gut er konnte. Nun hatte er doch eine Art von Profess abgelegt, und zwar vor dem alten Joseph ben Yehiel.
    Vielleicht gab es diesen fernen strafenden Gott ja gar nicht, zu dem sie im Kloster beteten und über den die Theologen lange Abhandlungen schrieben. Vielleicht konnte man Gott nur im Antlitz der Menschen finden, die man liebt. Konrad berührte die Tasche, in der Hannahs Buch lag, und stellte sich vor, wieder die Wärme ihrer Hände zu spüren.
    ***
    Hannahs Tränen versiegten allmählich, aber sie hielt sich immer noch die Hände vor das Gesicht, als könnte sie so all diese schrecklichen Dinge von sich fernhalten. »Konrad hat dein Buch aufgehoben und in seine Satteltasche gesteckt. Er wird es dir bestimmt bald geben. Er reitet ein Stück weit hinter uns, zusammen mit seinem Freund Gilbert von Nogent.« Das war Rebekkas Stimme. Rebekka wirkte erstaunlich gefasst und streichelte beruhigend Hannahs Arm.
    Konrad hatte den Ovid für sie gerettet! Eine Welle der Zuneigung durchströmte sie. Sie hob den Kopf und sah sich um. Tatsächlich ritt er dort hinten hinter Gilbert von Nogent. Immer wieder schaute er besorgt zu ihrem Wagen hinüber.
    Weit hinter ihnen hallte das Geschrei der Menge durch die Gassen. »Tod den Juden! Tod den Dienern Satans!«
    Der Marschall Anselm von Berg ritt auf einem großen, stolzen Pferd an ihnen vorbei. »Beeilt euch!«, rief er. »Der größte Teil des Pöbels strömt ins Viertel, doch manche von ihnen sind bereits unterwegs zum Rhein, um euch den Weg zu den Fähren abzuschneiden.«
    Vielleicht rannten die aufgehetzten, hasserfüllten Christen jetzt schon auf Josephs Haus zu? Hannah empfand auf einmal Wut, dass er sie im Stich gelassen hatte. Warum war er nicht mitgekommen? Das trotzige, enttäuschte Kind in ihr wollte vom Wagen springen und zurück ins Viertel rennen, zurück zum Haus, wo Joseph sich bestimmt in die Bibliothek zurückgezogen hatte. Gewiss saß er dort ganz verlassen und allein und wartete auf die fanatischen Mörder, um ihnen stolz entgegenzutreten und würdig in den Tod zu gehen.
    Die erwachsene, reife Hannah wusste, dass sie das nicht tun würde. Sie würde nicht zurücklaufen. Aber sie würde die Liebe zu ihrem Vater für immer in sich tragen. Und diese Liebe war eine Verpflichtung, zu leben und diesen reichen, kostbaren

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