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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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jünger als Joseph, kompakt, stämmig und im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte. Seine Finger bohrten sich immer weiter in ihren Oberarm. »Komm.« Seine Stimme war die ganze Zeit ruhig, fast freundlich. Es irritierte sie, dass er gar nicht laut wurde wie bei seinen Streitereien mit Joseph. Er zerrte sie über einen langen, düsteren Flur, und dann zwang er sie, eine Treppe im hinteren Teil des Gebäudes hinunterzusteigen. Als sie am Fuß der Treppe anlangten, dachte sie nur: weg, zu Konrad! Sie riss sich los, unterschätzte aber Nathans Schnelligkeit. Er stellte ihr ein Bein, so dass sie stolperte und der Länge nach hinfiel. Sie versuchte sich umzudrehen und nach ihm zu treten, aber da war er schon über ihr, riss sie wieder hoch und versetzte ihr zwei schallende Ohrfeigen. »Du musst noch viel lernen«, sagte er keuchend. »Aber du wirst schon sehen, ich bin ein geduldiger Erzieher.«
    Er drehte ihr den Arm auf den Rücken und drückte so fest zu, dass sie glaubte, ihre Schulter würde zerspringen. Hilflos vor Schmerz ging sie vor ihm her. Er schob sie aus dem Stallgebäude in ein unmittelbar angrenzendes Gemäuer. Im matten Licht eines Kerzenleuchters, den jemand dort aufgestellt hatte, sah sie entsetzt, dass es sich um einen offenbar lange nicht benutzten Kerker handelte. Es roch feucht und muffig, und überall hingen Spinnweben herum.
    Es gab vier Zellen, alle mit dicken Holztüren, in welche kleine runde Gitterfenster eingelassen waren, die jedoch nur ein spärliches Licht hereinließen. Die Tür der ersten Zelle stand offen. Drinnen brannte ebenfalls ein Leuchter, und eine Strohmatte lag auf dem Boden. Nathan stieß Hannah in die Zelle hinein. Dann kam er hinter ihr her und schloss die Tür von innen. »Hier sind wir ungestört«, sagte er. »Du wirst jetzt eine Lektion lernen, die für dein weiteres Leben enorm wichtig ist: Du wirst lernen, mir zu gehorchen.«
    ***
    Im Gegensatz zu Konrads erstem Besuch auf der Wolkenburg standen im Palas nun zwei Schildwachen vor dem Rittersaal. Vermutlich hatte Rainald das angeordnet, weil sich so viele unbekannte Leute in der Burganlage aufhielten. Die Wächter erkannten ihn aber sofort und ließen ihn durch. Drinnen am Kamin saßen Anselm, Rainald und Wolfram, ins Gespräch vertieft. Als Konrad eintrat, hoben sie die Köpfe und schauten ihn fragend an.
    Sein Gesichtsausdruck befremdete sie offenbar, denn Rainald sagte: »Was gibt es, Konrad? Ist etwas nicht in Ordnung?«
    »Anselm – ich muss dich dringend sprechen.«
    »Das passt gerade nicht, Konrad«, sagte er. »Wir …« Dann hob er die Brauen und stand auf. »Also gut. Entschuldigt mich einen Augenblick.«
    Er ging mit Konrad hinaus. »Was hast du denn?«, fragte er ärgerlich. »Ich habe gerade wenig Zeit. Eben ist ein Bote des Erzbischofs eingetroffen. Er berichtet, dass es Radulf gelungen ist, einen großen Haufen fanatischer Judenhasser zusammenzutrommeln. Sie haben in Bonn den Rhein überquert und werden wohl noch vor dem Morgengrauen Vineberg erreichen. Erzbischof Arnold hat seine Streitmacht in Marsch gesetzt und ist ihnen dicht auf den Fersen. Er wird ebenfalls am frühen Morgen hier erwartet.«
    Das registrierte Konrad nur am Rande. Es war ihm im Moment ganz unwichtig. »Ich habe mit Ludowig gesprochen«, sagte er.
    Anselm schaute ihn überrascht an. Er führte ihn in ein kleines Beratungszimmer neben dem Rittersaal, wo sie ungestört waren. »Worüber denn?«
    »Ich weiß alles.«
    »Das würde noch nicht einmal ich von mir behaupten.«
    Wenn das als Scherz gemeint war, fand Konrad es nicht komisch. »Ich weiß, wer du bist.« Anselm zuckte die Achseln. »Ich bin der, der ich bin.« Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. »Was hat Ludowig dir denn erzählt?«
    »Ich kenne jetzt meine Familie.«
    Nun wurde Anselm blass. Er seufzte und setzte sich langsam auf einen Stuhl. »Es war klar, dass irgendwann einer von uns reden würde. Die Übereinkunft, dir gegenüber Schweigen zu bewahren, haben wir alle freiwillig getroffen. Niemand wurde dazu gezwungen. Wir haben alle geglaubt, es wäre das Beste für dich.«
    »Du hast mich die ganze Zeit belogen!«
    »Aber … wir wollten dich schützen … dich vor der Vergangenheit beschützen. Abt Balduin dachte, es sei so am besten. Ich dachte, wir könnten Freunde werden. Deswegen bin ich zu dir ins Kloster gekommen.«
    Konrad war so wütend wie noch nie in seinem Leben. Die Wut gegenüber Anselm, die schon so manches Mal in ihm gebrodelt hatte, kochte

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