Der Mönch und die Jüdin
gesagt. Sie sollten uns verjagen.«
Darauf ging Ludowig nicht ein. Schweigend setzte er sich wieder an den Tisch.
»Was ist dann geschehen? Der letzte Eindruck, an den ich mich erinnere, ist, dass mich jemand hinter dem Fass hochhob. Dann weiß ich erst wieder, dass ich im Kloster aufwachte, wo Balduin und Matthäus sich um mich kümmerten.«
»Die Frau des Wirtes, die gut mit Brid befreundet war, rannte hoch zur Burg. Dort alarmierte sie zuerst mich. Ich sprang sofort aufs Pferd und ritt zum Dorf. Nachdem sie auch Anselm berichtet hatte, was unten im Dorf geschah, kam er mit den anderen Rittern nach.«
Ludowig schwieg einen Moment. »Über die ersten Tage nach Brids Tod weiß ich nur wenig«, berichtete er weiter. »Ich schwebte selbst lange zwischen Leben und Tod. Anselm ließ Brids Tante Widogard rufen. Sie konnte mich retten, aber ich litt schreckliche Qualen. Meine Brandwunden schwärten und faulten. Doch es war mir wohl bestimmt, am Leben zu bleiben, um der Welt mehr Minnelieder und Balladen zu schenken. Diese Bestimmung versuche ich seither zu erfüllen. Anselm hielt im Dorf ein schreckliches Strafgericht ab. Zusätzlich zu den drei Männern, die ich bereits erschlagen hatte, ließ er zehn weitere Männer auf dem Gerichtsplatz enthaupten, unter ihnen den Dorfschulzen.«
»Aber der hat doch versucht, sie aufzuhalten!«, rief Konrad. »Daran erinnere ich mich jetzt genau.«
Ludowig zuckte die Achseln. »Davon weiß ich nichts. Er wurde verurteilt, weil es seine Pflicht gewesen wäre, Anselm zu benachrichtigen und die Männer an dem gemeinen Mord zu hindern.«
Das erschien Konrad ungerecht, denn immerhin hatte der alte Mann sich den Mördern ganz allein in den Weg gestellt. Der Burgvogt hat gesagt, dass wir sie aus dem Dorf jagen sollen. Verjagen hat der Herr Anselm gesagt, nicht verbrennen. Konrad stand auf.
»Wohin gehst du?«, fragte Ludowig.
»Ich werde mit Anselm sprechen«, sagte Konrad. »Alles Weitere will ich von ihm hören.«
Ludowig schaute ihn plötzlich sehr durchdringend an. »Ich hoffe, es war kein Fehler, dir das alles zu erzählen«, sagte er. »Was immer du tust, denke daran, dass die Zukunft wichtiger ist als die Vergangenheit.«
M ARTYRIUM
H annah hatte geschlafen, tief und erschöpft. Als sie aufwachte, war es draußen dunkel geworden. In der kleinen Kammer brannte eine Kerze, und ihre Mutter und Rebekka saßen auf Rebekkas Bett und unterhielten sich leise. Hannah setzte sich auf.
»Hast du dich ausgeruht, mein Kind?«, sagte Ruth. »Es war unvernünftig von dir, einfach wegzulaufen. Onkel Nathan war sehr wütend deswegen. Er ist doch jetzt das Familienoberhaupt. Wir müssen uns ihm fügen. Was sollen wir denn sonst tun?«
Hannah fiel auf, dass ihre Mutter schon in dem gleichen leisen, demütigen Tonfall sprach wie Nathans Frau. Immerhin weinte sie nicht mehr ständig, war ruhiger und gefasster, seit sie auf der Burg angekommen waren.
Rebekka flüsterte: »Wenn wir dem Onkel gehorchen, brauchen wir keine Angst vor ihm zu haben, das hat er mir selbst gesagt. Er verheiratet dich und mich mit reichen Männern, bei denen es uns an nichts fehlt. Aber wenn du dich weiter heimlich mit Konrad triffst, wird er dir sehr weh tun. Sei bitte vernünftig, Hannah. Glaub mir, das ist besser für dich.«
»Na wunderbar!«, sagte Hannah. »Ihr habt euch beide schon völlig von ihm einschüchtern lassen. Darauf wartet er doch nur.«
»Du wirst ihm auch gehorchen müssen«, sagte ihre Mutter. »Sei bitte vernünftig! Lass uns das Beste aus der Situation machen. Bestimmt wird er wieder einen ähnlich tollen Mann für dich finden wie Salomon ben Isaak. Der war doch großartig, das musst du zugeben. Dann wirst du in einem Haus wohnen, so groß wie ein Palast. Du wirst viele Diener haben und den ganzen Tag umsorgt und umhegt werden. Onkel Nathan ist gar nicht so übel. Wir müssen nur tun, was er von uns erwartet, dann wird schon alles gut, du wirst sehen.«
Hannah hielt sich die Finger an die Schläfen. »Seid doch still, alle beide! Ich will dieses Gerede nicht hören!«
Da öffnete sich die Tür. Onkel Nathan kam herein. »Hannah«, sagte er, »jetzt können wir uns in Ruhe unterhalten.«
»Ich bin müde«, sagte sie. »Ich habe keine Lust.«
»Wir machen einen Spaziergang.«
Unvermittelt kam er auf sie zu und packte sie grob am Arm. Ruth und Rebekka schauten erschreckt zu, sagten aber nichts. »Ich habe einen Ort entdeckt, an dem wir ungestört reden können.« Onkel Nathan war zehn Jahre
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