Der Mönch und die Jüdin
ein bescheidener Mönch aus. So hatte sich Konrad den Lieblingsschüler des gefährlichen Häretikers Abaelard jedenfalls nicht vorgestellt. Zumindest äußerlich unterschied er sich kaum von Abt Balduin, wenn er auch viele Jahre jünger sein musste.
Sigismund und Matthäus kamen aus dem Palas, zu Konrads Überraschung vergnügt miteinander lachend und schwatzend. Was war nur mit Matthäus los? War er am Ende bereits dem Zauber dieses Ortes erlegen? Konrad beschloss, auf der Hut zu sein. Der Burgvogt ging den beiden entgegen, sagte mit tief dröhnender Bassstimme etwas, das Konrad nicht verstand, und begrüßte den Gast, wie es unter Gleichgestellten üblich war: mit einer Umarmung und einem Wangenkuss.
Konrad fragte sich, wie er sich verhalten sollte. Musste er nicht hinuntergehen und den Vogt begrüßen? Andererseits hatte Sigismund gesagt, er könne auf dem Bergfried bleiben, bis die Essensglocke erklang. Er fürchtete sich davor, dem grimmig wirkenden Rainald und der Zauberin gegenüberzutreten. In diesem Moment, als hätte sie gespürt, dass er sie beobachtete, blickte die rothaarige Frau hinauf zum Turm und sah ihn oben an der Brüstung stehen. Sofort ging sie zu Sigismund und wechselte ein paar Worte mit ihm. Dann steuerte sie mit energischen Schritten auf die Treppe zum Bergfried zu.
Mein Gott, sie würde zu ihm heraufkommen! Konrad brach der Schweiß aus. Seine Gedanken überschlugen sich. Wenn sie Zauberkräfte hat, dann hat sie bestimmt bemerkt, dass ich noch nicht unter ihrem Bann stehe. Am liebsten wäre er geflohen, doch dazu gab es keine Möglichkeit. Der einzige Weg nach unten war die Treppe. Dort würde er ihr geradewegs in die Arme laufen.
Während er unschlüssig an der Brüstung stand, geschah unten etwas Seltsames. Sigismund und Matthäus winkten ihm zu, und auch der Burgvogt hob grüßend die Hand. Mit seiner mächtigen Stimme rief er: »Seid gegrüßt, Konrad! Kommt herunter, wenn die Glocke läutet, und seid mein Gast!« Konrad erstarrte; er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Wie war es möglich, dass sie ihm, dem kleinen Novizen, eine solche Beachtung schenkten?
Und nun blickte auch der Mönch zu ihm hoch. Er winkte nicht, aber soweit Konrad sehen konnte, lächelte er. Dann gingen sie alle in den Palas.
Auf der Treppe hörte Konrad rasche Schritte. Sein Herz fing an zu klopfen. Eine rötlich schimmernde Haarmähne tauchte auf, dann stand die Herrin der Wolkenburg vor ihm.
Von ihren grünen Augen schien eine beunruhigende Kraft auszugehen. Sie lächelte freundlich. Dieses Lächeln kam ihm seltsam bekannt vor, und er fragte sich, ob sie ihn an jemanden erinnerte. Aber das war unmöglich. Er war dieser Frau noch nie begegnet. Sahen sich nicht alle jungen Frauen irgendwie ähnlich? Bestimmt erinnerte sie ihn an eine der Neuwerther Mägde, die ihn manchmal unzüchtig anlächelten. Er musste auf der Hut sein. Wahrscheinlich war das alles Teil ihres Zaubers, mit dem sie ihn beeinflussen wollte.
Eine Frau, die Hosen trug wie ein Mann, war ihm noch nie begegnet. Sie war groß, von kräftiger Statur, und ihre Haltung und Gestalt hatten etwas Königliches. Konrad fand sie wirklich schön anzusehen. Und wie jung sie war! Das hatte er nicht erwartet. Sie schien nicht viel älter zu sein als er, vielleicht zwanzig oder einundzwanzig. Ihre Kleidung war von einem schlichten Grün, so dass sie im Wald vermutlich schon nach wenigen Schritten unsichtbar wurde und ganz mit der Umgebung verschmolz. Auf ihrer Brust hing ein Amulett, eine runde goldene Scheibe, in die eine flammende Sonne eingraviert war. Die letzten Strahlen der Abendsonne fingen sich in der Scheibe, so dass sie schimmerte und orangerot aufleuchtete. Konrad hatte Mühe, seinen Blick davon zu lösen. Solch schönen Schmuck hatte er noch nie gesehen.
»Sei gegrüßt, Konrad«, sagte sie leise, mit einer warmen, vollen Stimme, die tief in ihm etwas auslöste, das er sich nicht erklären oder in Worte fassen konnte. Am liebsten hätte er sie einfach stehenlassen und wäre davongerannt. Was für ein sonderbarer Zauber – sie war wirklich gefährlich! »Ich freue mich aufrichtig … dich zu sehen.«
Er musste irgendetwas tun, um den Bann zu brechen. »Ein merkwürdiges Amulett tragt Ihr da«, sagte er und war überrascht, wie schroff und abweisend seine Stimme klang – und wie männlich. »Wäre nicht für die Frau des erzbischöflichen Burgvogts ein christliches Symbol passender? Warum tragt Ihr kein Kreuz?«
Das Lächeln verschwand
Weitere Kostenlose Bücher