Der Mönch und die Jüdin
Ludowig, und vor vielen Jahren ist ihm etwas Schreckliches zugestoßen, das ihn für immer entstellt hat. Tagsüber verbirgt er sich hier unten, um niemanden durch seinen Anblick zu erschrecken. Nur nachts kommt er herauf, um sich draußen im Wald Bewegung zu verschaffen.«
Konrad hätte sich gerne losgerissen und wäre über die Treppe von diesem düsteren Ort geflohen, aber Brigid hielt seine Schultern mit erstaunlicher Kraft fest. Widerwillig blickte Konrad nach unten. Die Kreatur war ihm nicht gefolgt, sondern stand schweigend am Fuß der Treppe. Ihr eines Auge betrachtete ihn aufmerksam. Licht fiel aus dem Gang, wo Ludowig hergekommen war. Nur wenige Schritte entfernt sah Konrad dort einen von Kerzen erhellten Raum, in dem eindeutig ein Mensch hauste. Er sah einen Tisch, Stühle, ein einfaches Bett, es wirkte fast wie eine Mönchszelle.
»Was ist ihm denn zugestoßen?«, fragte Konrad.
Brigid zögerte. Stockend antwortete sie: »Darüber … möchte ich besser nicht sprechen. Aber vielleicht … wird er es dir eines Tages selbst erzählen.«
»Und wieso lebt er hier auf der Burg?«
Brigid zögerte erneut, dann antwortete sie: »Also gut – so viel kann ich dir sagen, denke ich: Ludowig ist der Bruder meines Mannes Rainald. Nun komm mit mir! Man erwartet uns im Rittersaal.«
Konrad blickte noch einmal zum Fuß der Treppe, aber der grausam entstellte Mensch war verschwunden, hatte sich offenbar wieder in sein Quartier zurückgezogen.
Draußen war es dunkel geworden. Während er neben Brigid auf den Palas zuging, dessen Türbogen vom Schein zweier großer Fackeln erhellt wurde, fühlte er sich verwirrt, ängstlich, und ein wenig schämte er sich auch. Sein Gefühl sagte ihm, dass es der Wahrheit entsprach, was Brigid ihm über Ludowig erzählt hatte. Konrad hatte geglaubt, einen bösen Dämon vor sich zu haben, und war doch nur einem Menschen begegnet, dem Schlimmes widerfahren war. Galt gegenüber solchen Menschen nicht das christliche Gebot der Barmherzigkeit? Ihm war jetzt auch klar, dass Ludowig nicht versucht hatte, ihn anzugreifen. Er hatte nur die Flammen austreten wollen.
War es denkbar, dass er die Verhältnisse hier auf der Burg falsch einschätzte? Immerhin hatte er auch einen Dämon zu sehen geglaubt, den es gar nicht gab. Er konnte nur mehr herausfinden, wenn er sich zu den fremden Menschen in den Rittersaal wagte, von wo aus lautes Stimmengewirr zu ihm auf den Hof drang.
Er sah, wie Brigid ihn im Lichtschein der Fackeln aufmerksam betrachtete. »Hast du dich von deinem Schrecken erholt?«, fragte sie.
Als Konrad das bejahte, lächelte sie. »Dann komm mit mir! Essen und Musik warten auf uns.«
B RAUTSCHAU
D en ganzen Tag über war Hannah von einer ängstlichen Unruhe erfüllt. Im Grunde hatte sie völliges Vertrauen in das Versprechen ihres Vaters, sie nicht gegen ihren Willen zu verheiraten. Sie wusste, dass sie damit ein Privileg genoss, wie es wohl kaum einem anderen Mädchen in der Stadt, jüdisch oder christlich, gewährt wurde. Fast immer arrangierten die Familien die Hochzeit. Dabei ging es um wirtschaftliche Versorgung oder um Macht und Einfluss. Sicher nahmen Eltern, die ihre Kinder liebten, auch gewisse Rücksichten auf deren Gefühle. Dass aber ein Vater seiner Tochter bei der Wahl ihres zukünftigen Gatten völlige Freiheit ließ, geschah wohl nur, wenn dieser Vater Joseph ben Yehiel hieß und – zumindest nach Hannahs Meinung – der außergewöhnlichste und wunderbarste Mensch des ganzen Erdkreises war.
Neugierig auf den Gast aus Speyer war Hannah aber trotzdem. Nach allem, was Onkel Nathan erzählt hatte, musste er unglaublich reich sein! Joseph und Nathan hätten sich niemals einen eigenen Karawanenbetrieb, geschweige denn eigene bewaffnete Reiter leisten können. Über diese Dinge wusste Hannah durch ihre Mitarbeit im Kontor des Vaters gut Bescheid. Wie die meisten Händler mussten ihr Vater und ihr Onkel die Dienste von Karawanenführern in Anspruch nehmen, die gemeinsame Ferntransporte für eine große Anzahl von Kaufleuten zusammenstellten und organisierten.
Das Haus, in dem ihr Onkel mit seiner Frau, seinen beiden Söhnen und deren Familien lebte, lag gleich neben Hannahs Elternhaus. Und so hatte Hannah von der Küchenmagd, die auf gutem Fuß mit Nathans Hausdiener stand, Erstaunliches über den Gast erfahren: Bei dem Wagen, mit dem der Speyerer Kaufmann Salomon ben Isaak angereist war, handelte es sich nicht um ein gewöhnliches, aus groben Planken
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