Der Mönch und die Jüdin
sie ja leider die Hauptperson des Abends. Sie fragte sich, ob Ruth wollte, dass sie ihn heiratete.
Ihre Mutter hatte sich dazu bislang überhaupt nicht geäußert, aber vermutlich wäre sie mit der Verbindung sehr zufrieden gewesen, denn eine gute Partie war Salomon zweifellos. Ruth war, obwohl sie ihre Töchter sehr liebte, in dieser Hinsicht viel pragmatischer und materieller eingestellt als Joseph. Für Literatur und antike Philosophie, diese gemeinsame Leidenschaft von Joseph und Hannah, hatte sie ohnehin keinen Sinn.
Sie war der Ansicht, dass Hannah damit ihre Zeit verschwendete, statt sich den Aufgaben zu widmen, mit denen eine Frau nach Ruths Ansicht glücklich werden konnte: Kindererziehung und eine kluge Haushaltsführung.
Ungefragt und ohne von Joseph dazu aufgefordert worden zu sein, setzte sich Onkel Nathan neben Salomon, was Hannah als ausgesprochene Respektlosigkeit gegen seinen älteren Bruder, der noch dazu der Gastgeber war, empfand. Doch Joseph ging großzügig darüber hinweg. Sie fragte sich, ob das wieder Ausdruck dieser besorgniserregenden Müdigkeit und Resignation war, die sie am Tag zuvor im Kontor bei ihm bemerkt hatte.
Während Salomon ben Isaak mit wohlgesetzten Worten die üppig mit koscheren Speisen gedeckte Tafel pries, glitt Hannahs Blick immer wieder zu den beiden Ohrringen, die sie neben ihr Essbrett gelegt hatte – weit genug weg, damit sie während des Mahles nicht beschmutzt wurden. Sie waren wirklich schön. Wenn Hannah den Schmuck anlegte, würde sie sich tatsächlich fühlen wie eine Prinzessin.
Was Schmuck und Kleider anging, hatte Joseph seine Töchter nie verwöhnt. Sie waren stets ordentlich gekleidet, aber es entsprach einfach nicht Josephs Naturell, Unsummen für edle Stoffe und feinen Schmuck auszugeben. Er war ein Mann der Literatur und Gelehrsamkeit. Für materiellen Luxus, der den Sinnen schmeichelte, interessierte er sich nicht, davon verstand er nichts. Er handelte mit den Gerätschaften der Buchkunst: mit Papyrus und Pergament in allen Qualitäten, mit Gänsefederkielen ebenso wie edlen Schreibgriffeln aus Elfenbein, Silberspitzen zum Ziehen der Seitenränder und Zeilen, kostbaren Tinten jeder Art, und neuerdings verkaufte er auch jenes Wunder, das die Chinesen schon seit tausend und die Araber seit vierhundert Jahren kannten: das sogenannte Papier. Dieses aus Hanf- oder Baumwollfetzen gewonnene Material ließ sich einfacher und billiger herstellen als Pergament, was es vor allem für die großen Kanzleien interessant machte, wo man einen enormen Bedarf an Schreibmaterial hatte, weil immer mehr Briefe geschrieben und Urkunden angefertigt wurden. Und auch sonst waren für den täglichen Gebrauch Papierbögen weitaus handlicher als zum Beispiel Wachstäfelchen.
Joseph betonte aber oft, dass Papier niemals das haltbare Pergament ersetzen könne, wenn es darum ging, die Werke der hohen Literatur über die Jahrhunderte zu erhalten. Für das Kopieren philosophischer und literarischer Bücher, die kommenden Generationen zugänglich gemacht werden sollten, würden die Schreiber gewiss auch noch in tausend Jahren das kostbare Pergament benutzen, das stand für Hannah fest, denn für diesen Zweck gab es einfach nichts Besseres. Der benötigte Rohstoff, die Haut von Lämmern, Zicklein und Kälbern, konnte niemals ausgehen, denn alle diese Jungtiere wurden stets in großer Zahl gezüchtet. Und Hannah fand, dass es eine wirkliche Ehre für diese Geschöpfe war, zum Wohle der großen Literatur ihre Haut zu Markte zu tragen!
Salomon ben Isaak aß riesige Mengen und trank dazu Becher um Becher des koscher hergestellten Weines, ohne dass dieser bei ihm eine erkennbare Wirkung gezeigt hätte, während Hannah schon ein einziger Becher zu Kopf stieg. Deswegen verzichtete sie vorsichtshalber auf einen zweiten und trank danach lieber mit Honig gesüßtes Wasser. Der beleibte Gast konnte seinen gewaltigen Appetit an Rinderbraten, Lamm und Hühnchen stillen. Nachdem man, den jüdischen Speisevorschriften gemäß, Mund und Hände gereinigt und das Geschirr ausgewechselt hatte, ging man zu Karpfen und Rheinzander über.
Dass ein einzelner Mensch so viel vertilgen konnte wie Salomon, fand Hannah unglaublich! Dabei aß sie selbst wirklich gerne, denn Essen war ein sinnliches Vergnügen für sie, weshalb sie sogar schon einige Male gesündigt und heimlich unkoschere Speisen probiert hatte, einfach aus Neugierde auf neue Aromen und Geschmackserlebnisse.
Allerdings setzte das Essen bei
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