Der Mönch und die Jüdin
würde. Joseph hatte ihr ein Versprechen gegeben, und er hatte noch nie eines seiner Versprechen gebrochen. »Salomon ben Isaak, Ihr seid wirklich ein bemerkenswerter Mann«, sagte Joseph.
»Ihr seid nicht mehr der Jüngste, Meister Joseph«, fügte Salomon hinzu. »Wenn Ihr mir Eure Tochter zur Frau gebt, hättet Ihr zumindest die Gewissheit, einen passablen Ehemann für sie gefunden zu haben, falls Euch etwas zustoßen sollte. Und auch um Eure Frau und Eure Tochter Rebekka würde ich mich mit allem, was in meiner Macht steht, kümmern. Ich könnte mir vorstellen, dass Euer Bruder imstande wäre, einen Mann auszusuchen, mit dem Hannah weitaus unglücklicher wäre als mit mir.«
Dieser Fuchs hatte wirklich alles sehr gut durchdacht. Rein vernunftmäßig betrachtet war das ein ausgezeichnetes Angebot. Aber dennoch wäre eine solche Ehe nichts weiter als ein Geschäft zum gegenseitigen Vorteil gewesen. Auch wenn sie sich bewusst war, dass dies vermutlich auf die meisten Ehen zutraf, wollte Hannah mehr. Sie wollte wie Corinna sein. Sie wollte ihren Ovid finden.
Zu ihrem Schrecken hörte sie, wie Joseph sagte: »Salomon ben Isaak, ich muss zugeben, dass ich Euch gegenüber sehr skeptisch war – schon allein, weil es mein Bruder war, der den Kontakt zu Euch hergestellt hat. Aber je näher ich Euch kennenlerne, desto besser gefallt Ihr mir. Wie Ihr richtig vermutet, möchte ich auf keinen Fall, dass mein Bruder Nathan über das Wohl Hannahs zu bestimmen hat, wenn ich einmal nicht mehr bin. Deswegen finde ich es geradezu ironisch, dass er mir einen Mann ins Haus gebracht hat, der mir in seiner Weltanschauung so ähnlich ist, wie Ihr es seid.«
Hannah lauschte atemlos. Worauf wollte Joseph denn hinaus? Er hatte ihr ein Versprechen gegeben, und sie wusste doch, dass man sich auf ihn absolut verlassen konnte.
»Der Kontakt zu Nathan entstand über einen gemeinsamen Handelspartner«, berichtete Salomon. »Ehrlich gesagt, ist Euer Bruder nicht gerade ein Mann, mit dem ich gerne Geschäfte machen würde, jetzt, wo ich Gelegenheit hatte, ihn persönlich kennenzulernen.«
Bis jetzt hatte Hannah das Gesicht ihres Vaters nicht sehen können, da es von Salomons breitem Rücken verdeckt gewesen war. Doch nun schlug der Kaufmann die Beine übereinander und drehte sich dabei etwas zur Seite.
Als sie Josephs Gesicht sah, wurde ihr klar, dass ihr Vater Salomon richtig ins Herz geschlossen hatte. Da war ein begeistertes Leuchten in Josephs Augen. Er lächelte und sagte: »Es kommt mir wie ein göttliches Geschenk vor, dass Ihr in unser Haus gekommen seid. Wisst Ihr, unsere Unterhaltung über Philosophie und Literatur war für mich keine bloße Plauderei.«
»Das habe ich gemerkt«, sagte Salomon. »Ihr wolltet mir auf den Zahn fühlen. Habe ich die Prüfung denn bestanden?«
»Ihr seid ein sehr kultivierter Mensch, zudem tolerant und weltoffen. Um ehrlich zu sein: Ich bin sehr froh, Euch kennengelernt zu haben, Salomon. Ich wünsche mir, dass meine Tochter möglichst bald heiratet. Natürlich muss ich zugeben, dass es dieser Ehe ein wenig an Romantik mangeln würde …«
»Nichts im Leben ist vollkommen«, erwiderte Salomon. »Aber ich würde mich nach Kräften bemühen, diesen Mangel auszugleichen. Eure Tochter könnte reisen und aktiv in meinem Handelshaus mitarbeiten. Literatur und Philosophie stünden ihr auch weiterhin offen. Ich bin überzeugt, sie würde sich an meiner Seite keinen Tag langweilen.«
»Eben das ist es, was mir diese Verbindung so attraktiv erscheinen lässt«, sagte Joseph. »Ich liebe meine Tochter sehr, und nichts liegt mir so am Herzen wie Hannahs Glück. Ich habe den sicheren Eindruck gewonnen, dass Ihr es aufrichtig gut mit ihr meint, Salomon. Bei Euch wüsste ich sie bestens aufgehoben. Es würde mich sehr glücklich machen, wenn sie Euch heiratet.«
Hannah spürte einen ganzen Sturm widerstreitender Gefühle in sich toben. Es wurde ihr wieder einmal bewusst, wie sehr ihr Vater sie liebte und um ihr Wohl besorgt war. Aber sie spürte, dass sie Salomon nicht heiraten durfte, wenn sie auf ihr Herz hörte. Sie bekam Angst, Joseph könnte von seinem Versprechen abrücken, auch wenn er so etwas noch nie getan hatte.
»Leider«, fuhr Joseph fort, »ist die Sache nicht ganz so einfach. Ich kann Euch Hannah nicht ohne weiteres zur Frau geben, Salomon. Ich habe ihr versprochen, dass sie selbst entscheiden darf. Ihr müsst also nicht nur mich überzeugen, Salomon – meine Sympathie habt Ihr schon gewonnen
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