Der Mönch und die Jüdin
–, sondern auch sie.«
Hannah atmete auf. Im Grunde hatte sie sich auch nicht vorstellen können, dass Joseph ein gegebenes Versprechen nicht einhalten würde.
Nun stand Salomon auf. Bestimmt wird er jetzt enttäuscht von dannen ziehen, dachte Hannah.
Doch der Speyerer Kaufmann sagte: »Nicht anders wünsche ich es mir, Joseph. Wisst Ihr, ich halte sehr viel von der Freiheit des Menschen. Ich möchte Eure Tochter nur heiraten, wenn sie freiwillig mit mir kommt. Daher bitte ich Euch: Gewährt mir ein Gespräch unter vier Augen mit ihr. Wenn es mir nicht gelingt, sie zu überzeugen, werde ich abreisen. Eines aber möchte ich Euch sagen, Joseph: Unabhängig davon, wie Eure Tochter sich entscheidet, würde ich mich glücklich schätzen, wenn wir beide Freunde werden. Ich habe selten einen Menschen getroffen, dessen Lebenshaltung und Wesen mir so sympathisch sind.«
Da erhob sich auch ihr Vater. »Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit. Lasst uns ab sofort zum freundschaftlichen Du übergehen, Salomon.« Sie reichten sich die Hände.
Hannah war sprachlos. Salomon wollte sogar, dass sie selbst entschied! Dieser Mann erstaunte sie immer mehr. Kein Wunder, dass Joseph so von ihm angetan war. Dann kam ihr wieder der beunruhigende Gedanke: Was, wenn das alles nur Theater war und Salomon ihrem Vater eine Komödie vorspielte, ihm nach dem Mund redete? Aber ihr Vater verfügte über eine enorme Menschenkenntnis. So leicht ließ sich Joseph nicht hinters Licht führen, und sie hatte noch nie erlebt, dass er sich in der Einschätzung anderer Menschen getäuscht hatte.
Joseph sagte: »Komm morgen früh wieder, Salomon. Ich werde alles für ein Vieraugengespräch mit meiner Tochter arrangieren. Ich bin sicher, dass sie ja sagen wird. Etwas Besseres wie du kann ihr gar nicht passieren!« Er wirkte sehr erleichtert und zufrieden, als sei eine große Last von ihm abgefallen. »Das wird sie bestimmt einsehen, denn sie ist ein wirklich kluges Mädchen, das nicht nur romantische Flausen im Kopf hat. Ich muss allerdings zugeben, dass ich an diesen Flausen nicht ganz unschuldig bin. Ich habe ihr gerade die Amores von Ovid geschenkt.«
»Ah, Ovid!«, sagte Salomon. »Der Dichter der Liebe. Als junger Mann war ich ganz verrückt nach seinen Versen. Wenn man dann reifer wird, erkennt man, dass im Leben noch einige andere Dinge zählen, nicht nur die Romantik. Aber trotzdem wäre es schön, noch einmal jung zu sein«, schloss er verschmitzt lächelnd. Spürbar vergnügt und guter Dinge verließen die beiden Männer die Bibliothek.
Hannah kroch mit ziemlich gemischten Gefühlen in die Schlafkammer zurück. »Und? Los doch! Erzähl!«, drängte Rebekka, während sie gemeinsam die Bretter der geheimen Höhle wieder festklemmten.
Hannah seufzte. »Vater hat vorgeschlagen, dass Salomon mich morgen unter vier Augen sehen darf, um mir einen Antrag zu machen. Ich darf entscheiden, ob ich ihn heirate oder nicht.«
»Vater ist wirklich sonderbar, nicht wahr? Dass er dich das selbst entscheiden lässt! Das ist gegen alle Tradition.« Rebekka kicherte. »Wenn Onkel Nathan davon erfährt, platzt er wahrscheinlich vor Wut.« Als sie sah, was für ein Gesicht Hannah machte, fragte sie: »Freust du dich denn gar nicht? Das wird bestimmt eine riesige Hochzeit werden!« Als Hannah nichts sagte, fügte Rebekka besorgt hinzu: »Du willst doch wohl nicht etwa nein sagen? Tu Mutter das bitte nicht an.«
»Du hast recht«, sagte Hannah und merkte, wie sie ärgerlich wurde. »Vater lässt mich selbst entscheiden, wen ich heiraten will. Es ist allein meine Sache! Mutter wird das akzeptieren müssen, und du auch.«
»Aber wie kannst du einen solchen Mann zurückweisen? Das ist … das ist doch verrückt! So eine Gelegenheit wirst du bestimmt nie wieder bekommen.«
»Ach, Rebekka«, seufzte Hannah, »was weißt du schon von der Liebe? Würdest du einmal etwas Zeit in Vaters Bibliothek verbringen, wüsstest du, was wahre Liebe bedeutet.«
Rebekka schüttelte den Kopf. »Wie kann ich von totem Pergament etwas über das Leben lernen? Da vertraue ich lieber auf die Erfahrung unserer Mutter.« Sie schloss die Augen und sagte träumerisch: »Wenn ich heirate, möchte ich einen Mann, der reich ist und mir und meinen Kindern ein gutes Leben bieten kann. Dann werde ich bestimmt glücklich sein – und die Liebe wird sicher mit der Zeit wachsen. Die Liebe kennst du doch sowieso nur aus seltsamen Büchern, die außer dir und Vater niemand liest.«
Hannah hatte keine
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