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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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So hatten die beiden Mädchen in ihrer Höhle fasziniert Berichten aus dem fernen Konstantinopel oder der Heimat aller Juden in Palästina gelauscht.
    Außerdem pflegte Joseph wie die meisten Menschen laut zu lesen, während er dabei mit dem Zeigefinger über die Buchstaben fuhr. Ihm dabei zuzuhören, hatte Rebekka immer schrecklich langweilig gefunden und war dann rasch wieder ins Zimmer zurückgekrochen. Hannah aber hatte oft lange Zeit in der Höhle gesessen und mit träumerisch geschlossenen Augen Josephs Lektüre gelauscht. So war ihre Leidenschaft für die Literatur geweckt worden, auch wenn sie als Kind anfangs kaum etwas von den geheimnisvollen Texten verstanden hatte, die ihr Vater dort rezitierte.
    Die beiden hatten ihr Geheimnis niemals verraten, und Hannah vermutete, dass ihre Eltern sich gar nicht mehr an diesen nie genutzten Wartungsgang erinnerten. Als Joseph später damit begonnen hatte, Hannah im Lesen und Schreiben zu unterrichten, war er stets über ihre enorme Auffassungsgabe erstaunt gewesen. Doch das lag einfach daran, dass sie viele Texte längst gekannt hatte – aus ihrer Zeit in der Höhle.
    Joseph und Simon ben Isaak saßen auf den schweren, mit Schafsfellen gepolsterten Holzstühlen. »Ich bin wirklich beeindruckt von Eurer Bibliothek, Joseph«, sagte Salomon gerade. »Und ich fühle mich sehr dadurch geehrt, dass Ihr sie mir gezeigt habt.« Offenbar hatten sie also noch nicht über das eigentliche Thema gesprochen. Glücklicherweise konnten Vaters Bibliotheksführungen ziemlich lange dauern, vor allem wenn ein Gast deutliches Interesse für Josephs Bücherschatz zeigte.
    Nun unterhielten sie sich eine Weile über verschiedene Salomon bekannte Werke, die er in der Bibliothek gesehen hatte.
    Das war für Hannah, die alle diese Werke in- und auswendig kannte, nicht sehr interessant, aber es zeigte sich immerhin, dass der Kaufmann belesener war, als seine Äußerungen während des Essens hatten vermuten lassen. Er kannte sich mit Aristoteles und Seneca aus, und was er sagte ließ darauf schließen, dass er nicht nur hier und da etwas vom Hörensagen über diese Schriftsteller aufgeschnappt hatte und sich damit wichtig machte – das hätte Hannah sofort durchschaut –, sondern sich erstaunlich intensiv mit ihren Werken beschäftigt hatte. Sie glaubte nun nicht mehr, dass er Joseph nur etwas vormachte, um ihn um den Finger zu wickeln. Dazu wirkte sein Interesse an der Philosophie zu echt.
    Jetzt endlich kam Salomon auf die entscheidende Frage zu sprechen: »Lasst uns nun zum Grund meines Besuches kommen. Dass Ihr Eurer Tochter eine klassische Bildung habt angedeihen lassen, gefällt mir über alle Maßen. Ich teile keineswegs die Vorstellung Eures Bruders Nathan, dass eine Ehefrau eine bessere Sklavin sein soll.«
    »Wie Ihr Euch denken könnt, teile auch ich mit meinem Bruder nur wenige Ansichten«, warf Joseph ein.
    Salomon lachte, was ein wenig verschwörerisch klang, und fuhr fort: »Ich wünsche mir eine wirkliche Gefährtin zur Frau. Hannah wäre bei mir allzeit gut versorgt. Sie könnte mich auf meinen Reisen begleiten und mir mit dem Wissen, das sie in dieser eindrucksvollen Bibliothek und durch die Mitarbeit in Eurem Kontor erworben hat, eine große Hilfe sein. Natürlich wünsche ich mir, dass Hannah mir einen Erben schenkt. Aber da sie noch so jung ist, will ich ihr erlauben, sich einen Geliebten zu nehmen, sobald die Kraft meiner Lenden erloschen ist. Es soll ihr an nichts mangeln, solange sie mir nur weiterhin als Freundin und Gefährtin zur Seite steht.«
    Hannah glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. Dieser Mann dachte wirklich an alles!
    »Meine Ehe mit meiner verstorbenen Frau beruhte auf echter Liebe. Ich meine, wir wurden nicht füreinander ausgesucht, sondern hatten das nur wenigen Paaren vergönnte Glück, uns aus freien Stücken ineinander zu verlieben. Ich bin alt und weise genug, um zu wissen, dass Hannah sich wohl kaum in einen Mann verlieben wird, der über dreißig Jahre älter ist als sie. Auf echte Herzensliebe einer Frau darf ich in meinem Alter wohl nicht mehr hoffen. Aber vielleicht lässt sie sich von den vielen Vorteilen überzeugen, die ihr eine Ehe mit mir bieten würde. Insbesondere ihren Drang, die Welt zu sehen, könnte ich in den nächsten Jahren, ehe ich für das Reisen zu alt werde, gewiss noch befriedigen.«
    Ein kurzes Schweigen entstand. Hannahs Herz begann heftig zu klopfen, weil sie sich angespannt fragte, was Joseph wohl zu diesem Angebot sagen

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