Der Mönch und die Jüdin
Lust, sich mit ihrer Schwester zu streiten, und so krochen die beiden schweigend in ihre Betten. Während Rebekka, wie meistens, rasch einschlief, lag Hannah noch lange wach und grübelte. Ihr Fernweh hatte Salomon klar erkannt. War dies etwa der Preis, den das Leben für die Erfüllung ihrer Sehnsucht forderte? Dass sie nur dann die Welt sehen konnte, wenn sie einen Mann heiratete, den sie nicht liebte?
Wieder kamen ihr Zweifel, ob der raffinierte, mit allen Wassern gewaschene Kaufmann ihnen nicht bloß eine Komödie vorspielte. Und wenn Hannah dann verheiratet in Speyer ankam, zeigte er womöglich sein wahres Gesicht.
Andererseits hatte Salomon die Freundschaft ihres Vaters gewonnen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass das einem Täuscher und Blender gelungen wäre. Ihr Vater schien so begeistert von Salomon, als hätte Jahwe ihm den idealen Schwiegersohn auf einem Silbertablett serviert. Möglicherweise standen ja ihre romantischen Vorstellungen von der Liebe, von Ovid frisch angeheizt, ihrem wahren Glück im Wege. Aber Joseph hatte ihr das Buch doch schließlich selbst geschenkt und gesagt, dass sie auf ihr Herz hören sollte. Warum war er dann jetzt für eine Vernunftheirat?
Tief verunsichert fiel Hannah in einen unruhigen Schlaf. In dieser Nacht träumte sie, dass sie auf einem schönen, edlen Pferd durch eine liebliche südliche Landschaft ritt. Sie war nicht allein und spürte, dass ein Mann neben ihr ritt, ein Mann, der sie liebte und begehrte – ein junger Mann mit zärtlichen Händen und sanften, nachdenklichen Augen.
E IN NÄCHTLICHER B ESUCHER
K onrad hatte erwartet, sein Essen irgendwo abseits mit den Knappen und Dienstboten einnehmen zu müssen. Doch zu seiner Verwunderung hatte man ihm einen Platz ganz nah beim Herrn und der Herrin freigehalten, die nebeneinander am Kopf der Tafel saßen. Auf den ersten Plätzen an den Längsseiten saß Anselm von Berg, der wohlbehalten von der Jagd zurückgekehrt war, neben der Herrin Brigid und Gilbert von Nogent neben dem Herrn Rainald. Konrad saß zwischen Gilbert und Matthäus, der die ganze Zeit vergnügt mit dem neben ihm platzierten Sigismund und dessen Frau plauderte.
Konrad bemühte sich sehr, sein Misstrauen aufrechtzuerhalten, und suchte in den Blicken und Worten der Anwesenden nach Anzeichen von Falschheit. Doch es gelang ihm nicht. Alle behandelten ihn mit großer Freundlichkeit, die ihm durchaus nicht gespielt oder aufgesetzt erschien. Bei seinem Eintreten hatten sich Rainald und Gilbert erhoben. Brigid hatte ihn allen vorgestellt, und sowohl Rainald als auch Gilbert hatten ihn mit einer herzlichen Umarmung und einem Freundschaftskuss begrüßt. Eine Gelegenheit, mit Matthäus unter vier Augen zu sprechen und ihm von seinen Befürchtungen und der unheimlichen Begegnung im Keller des Bergfrieds zu berichten, bot sich nicht. Zudem schien Matthäus bereits mehr Wein getrunken zu haben, als ihm guttat, und er hatte für derlei Dinge jetzt sicher kein Ohr.
Sobald er an der Tafel Platz genommen hatte, merkte Konrad, wie hungrig er war. Sein Magen knurrte plötzlich laut. Rasch nahm er sein Messer und seinen Löffel aus dem Beutel am Gürtel seiner Kutte. Da man sein Besteck immer bei sich trug, legten sich wohlhabende Leute gern teure und aufwendig verzierte Messer und Löffel zu, um damit zu protzen. Konrads Besteck hatte ihm Abt Balduin vor vielen Jahren geschenkt. Es handelte sich um ein ganz einfaches Besteck, mit schlichten, unverzierten Holzgriffen, wie es sich für einen bescheidenen Diener Gottes gehörte. Konrad sah, dass auch Gilbert ein solch schlichtes Besteck benutzte. In die Griffe war allerdings eine feine Schrift eingraviert. Anselms Besteck hatte Konrad im Kloster schon oft gesehen. Es musste einmal kostbar und teuer gewesen sein. Die Metallgriffe waren mit Ornamenten und eingelassenen Schmucksteinen verziert, wirkten aber sehr abgenutzt. Man sah dem Besteck an, dass es den Mönchsritter jahrelang auf seinen weiten Reisen begleitet hatte.
Das Essen war, obwohl wegen der Fastenzeit weder Fleisch noch Eier gegessen werden durften, überraschend üppig, wie Konrad es im Kloster noch nie erlebt hatte. Es gab verschiedene gebratene und gedünstete Fischsorten sowie Krebse aus dem Rhein, fette Karpfen aus den erzbischöflichen Fischteichen unterhalb der Burg und dazu mit köstlichen Saucen angerichtetes sauer eingelegtes Gemüse. Den Abschluss bildeten mit reichlich Honig gesüßte Mehlspeisen. Seinen Durst konnte man, ganz nach Wunsch,
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