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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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tatsächlich nur ein dummer Aberglaube. Konrad musste an den armen Ludowig denken. Welches Glück er hatte, dass sein Bruder Burgvogt war und ihm hier Obdach gewähren konnte! Sonst wäre diesem armen, grausig entstellten Menschen wohl nichts anderes übriggeblieben, als sich im Wald zu verstecken und dort ein karges, einsames, trauriges Dasein zu fristen.
    Einen Moment war Konrad versucht, Brigid mehr über Ludowigs Schicksal zu entlocken, aber ehe er danach fragen konnte, sagte sie: »Dann behaupten sie im Kloster also, ich sei eine Hagazussa, eine Zaunreiterin? Ein böses Weib, das Vieh verhext, Unwetter beschwört und kleine Kinder vergiftet?« Sie machte ein trauriges Gesicht.
    »Jetzt, wo ich dich näher kennengelernt habe, glaube ich nicht mehr, dass dieses Gerede stimmt«, sagte Konrad und verspürte den starken Wunsch, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. Dieser Wunsch war irritierend und sonderbar und darum verdrängte er ihn sofort. »Auch unser verstorbener Abt hat gesagt, dass dies nur dummer Aberglaube ist. Aber viele Mönche im Kloster fürchten sich trotzdem vor Hexerei.«
    Brigid seufzte. »Leider nicht nur die Mönche. Auch die Leute in den Dörfern sind sehr abergläubisch. Einerseits brauchen sie uns heilkundige Frauen, damit wir Krankheiten lindern und bei Geburten helfen. Aber wehe, das Vieh oder gar die Kinder sterben oder es gibt eine Missernte – dann verjagen sie uns … oder Schlimmeres.« Sie senkte rasch den Blick, und Konrad glaubte, in ihren Augen Tränen schimmern zu sehen.
    Er spürte, wie sich tief in ihm etwas Dunkles, Bedrückendes und Beängstigendes regte, an das er nicht rühren mochte. Am liebsten hätte er sofort das Thema gewechselt, fragte aber doch noch: »Wer ist denn diese Lehrerin von dir? Ich dachte, man könnte nur an einer Klosterschule so etwas lernen.«
    Brigid wischte sich verstohlen die Tränen weg, und ein zaghaftes Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. In diesem Moment wirkte sie sehr jung, fast kindlich. Und sehr verletzlich. Konrad spürte, wie sich in seinem Herzen etwas regte, eine mitfühlende Zuneigung, die er so noch nie empfunden hatte. »Oh, sie heißt Widogard. Sie ist meine Großtante. Und ihr Mann ist Imker. Sie leben allein im Wald.« Sie zeigte in südöstliche Richtung. »Dort draußen.«
    Dann schwieg sie einen Moment und warf Konrad einen kurzen, sonderbaren Blick zu, fast, als warte sie auf irgendetwas. Als er nichts sagte, fuhr sie fort: »Widogard hat viel kostbares Wissen an mich weitergegeben. Ich besuche sie oft und helfe ihr beim Kräutersammeln. Sie ist jetzt alt und nicht mehr so gut zu Fuß.«
    »Und … deine Eltern? Leben die auch in der Nähe?«
    Brigids Schultern strafften sich, ihre Haltung bekam etwas Abwehrendes. Sie sprang auf und sagte schnell: »Über … über meine Eltern möchte ich nicht sprechen. Los, komm! Wir sind noch nicht fertig mit dem Reitunterricht. Bis zum Abend musst du noch eine Menge lernen.«
    Konrad fürchtete, sie durch seine neugierigen Fragen gekränkt zu haben, doch als sie sich wieder dem Reiten widmeten, kehrte ihre gute Laune bald zurück. Sie führte ihn noch ein paar Runden trabend im Kreis, scherzte dabei und lachte. Und ihre Fröhlichkeit war ansteckend, Konrad vergaß seine Sorgen und verlor seine Angst vor dem Reiten.
    Dann ließ sie das Pferd Schritt gehen und anhalten. »So, Konrad. Du hast jetzt gelernt, wie man es anstellt, nur dann den Sattel zu verlassen, wenn man selbst es will. Nun folgt der zweite Teil deiner Ausbildung: deinem Pferd klarzumachen, wohin es dich tragen soll.«
    Darüber hatte Konrad noch gar nicht nachgedacht. Einstweilen war er froh gewesen, sich auch bei schnellem Lauf oben halten zu können. Aber natürlich musste so ein Pferd gelenkt werden, wenn es einen ans gewünschte Ziel bringen sollte. Ihm kamen wieder Zweifel, ob er dieser Herausforderung auch gewachsen war.
    Aber Brigid schaffte es erneut, Konrads Ängste zu zerstreuen. Geduldig zeigte sie ihm die Sprache, durch die Konrad sich mit seinem Reittier verständigen konnte, und zwar auf eine Art, die ihm und auch Vagabundus angenehm war, so dass die Zusammenarbeit sich nicht harmonischer hätte gestalten können. »Wenn du es richtig machst, musst du nicht auf ein Pferd einprügeln oder ihm Sporen in die Flanken hauen«, sagte sie. »Dann genügen ein sanfter Klaps, etwas Schenkeldruck und ein paar leise Befehle.«
    Am späten Nachmittag, als die Sonne schon tief im Westen stand, taten Konrad sämtliche

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