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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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beide werden viel von der Welt sehen«, sagte er leise zu Vagabundus.
    Als er mit geradem Rücken stolz an den Burgwachen vorbeiritt, neigten sie respektvoll die Köpfe. So selbstverständlich wie ein erfahrener Reiter sattelte er das Pferd ab, führte es in den Stall und brachte ihm Heu. Die Angst war völlig verschwunden. Glücklich sah er seinem neuen Freund beim Fressen zu. Anselm kam, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Gut gemacht! Ich freue mich darauf, mit dir zu reiten.«

E IN VERNÜNFTIGES A NGEBOT
    A m nächsten Tag, kurz nach dem Frühstück, ließ Joseph durch den Hausdiener Aaron seine Tochter zu sich in die Bibliothek rufen. Sie fand, dass Joseph wie so oft in letzter Zeit etwas bleich und gebrechlich wirkte, doch er schien guter Dinge zu sein. »Du ahnst sicher, warum ich dich habe rufen lassen?«
    »Nun, ich nehme an, es hat etwas mit Salomon ben Isaak zu tun«, sagte Hannah vorsichtig. Nur ja nicht zu viel verraten, dachte sie.
    Auf Josephs Gesicht erschien das liebe, vertraute Lächeln, das Hannah so gut kannte, und seine Augen funkelten verschmitzt. »Du nimmst es an? Ich wette, du hast mitangehört, was er und ich gestern hier besprochen haben.«
    Hannah stockte der Atem. »Aber …« Wie konnte Joseph das wissen? Ihre Knie wurden weich und zittrig. Hatte Rebekka etwa … Nein, sie beide hatten zwar sehr unterschiedliche Ansichten und Interessen, aber trotzdem hielten sie immer zusammen. Rebekka konnte sie nicht verpetzt haben.
    »Ich nehme an, du bist lange nicht mehr in eurem Geheimgang gewesen – aber gestern Abend konntest du bestimmt nicht widerstehen.«
    Du meine Güte, wieso wusste ihr Vater davon? Wie war das möglich? Dann musste er ja wissen, dass sie ihn all die Jahre belauscht hatte. Aber … warum war er überhaupt nicht wütend oder enttäuscht? Sie konnte sich das alles nicht erklären. Sie spürte, wie ihr vor Scham und Aufregung ganz schwindelig wurde. Rasch setzte sie sich auf einen freien Stuhl.
    »Du brauchst nicht zu erschrecken«, sagte Joseph. »Ich konnte mir damals, als ich dich in die Lektüre der Klassiker einführte, gar nicht erklären, warum dir das alles so leichtfiel. Und du weißt ja, ich bin ein Mann der Wissenschaft. Die einzige vernünftige Erklärung schien mir zu sein, dass du mich in der Bibliothek irgendwie belauscht haben musstest. Da erinnerte ich mich an den alten Wartungsgang für die nie gebaute Heizung.« Er lächelte. »Mit etwas Spürsinn kam ich dir und Rebekka auf die Schliche. Respekt, wie gut ihr den Höhleneingang in eurer Kammer getarnt habt.«
    »Aber wieso habt Ihr uns damals nicht zur Rede gestellt und bestraft?« Hannah wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte.
    »Anfangs wollte ich das natürlich. Ich war ziemlich wütend, das kannst du mir glauben, mein schönes Töchterlein! Aber dann habe ich nachgedacht. Es waren deine Neugierde und dein Wissensdurst, die dich dazu gebracht hatten, mich bei meiner Lektüre in der Bibliothek zu belauschen. Rebekka dürfte viel weniger Zeit dort hinter der Holzwand verbracht haben als du, stimmt's?« Er zeigte auf die Wand, hinter der ihr geheimer Gang lag.
    Hannah nickte.
    »Du hast dabei eine Menge gelernt, das ließ sich nicht leugnen. Und deshalb konnte ich dir nicht wirklich böse sein. Und nachdem ich dir erst einmal freien Zugang zur Bibliothek gewährt hatte, würde es für dich sowieso nicht mehr reizvoll sein, dort in deinem geheimen Versteck zu hocken. Das wusste ich.«
    »Ja, so war es tatsächlich«, erzählte Hannah, erleichtert, dass ihr Vater die Sache so aufnahm. Joseph war einfach unglaublich! Sie musste sich sehr zusammennehmen, um ihm nicht um den Hals zu fallen. »Ich bin seit Jahren nicht mehr dort drinnen gewesen.«
    »Aber gestern Abend konntest du nicht widerstehen, da bin ich mir sicher. Immerhin hatte ich noch nie einen Mann in der Bibliothek zu Gast, der um deine Hand anhält.«
    Hannah senkte schamvoll den Blick. »Ihr habt recht, Vater. Ich habe gestern gelauscht. Es tut mir leid. Und ich verspreche, dass es nie wieder vorkommt.«
    »Dann weißt du ja bereits, welche Pflicht ich dir heute auferlege.«
    Hannah seufzte. »Ja, Vater. Aber ich werde selbstverständlich tun, was Ihr wünscht, und mit Salomon sprechen.«
    »Das ist gut«, sagte Joseph zufrieden. »Ich bin mir sicher, dass Salomon einwandfreie Absichten hat. Er würde dich anständig behandeln, und mir wäre dann einfach wohler. Ich möchte dich in Sicherheit und gut versorgt wissen. Und ich habe in

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