Der Mönch und die Jüdin
für dein ganzes künftiges Leben hat«, sagte Joseph, »solltest du keine voreiligen Entscheidungen treffen. Nutze die Frist, die er dir eingeräumt hat, und wäge das Für und Wider sorgfältig ab.«
Es schien aussichtslos, mit ihm zu diskutieren, darum schwieg Hannah lieber. Sie half ihm, die Bretter wieder zu befestigen. Als Joseph gegangen war, legte sie sich aufs Bett und versuchte, sich den Traum der vorigen Nacht wieder ins Gedächtnis zu rufen, doch er verblasste bereits. Sie dachte an Ovid und seine Corinna, und irgendwann merkte sie, dass sie immer noch die magisch glitzernde Brosche des Salomon in der Hand hielt.
Sie wusste ja, dass Joseph es gut meinte. Und für einen Moment fragte sie sich, ob sie nicht nachgeben und Salomon heiraten sollte. Er war ja wirklich kein schlechter Mensch. Salomon hatte ihr angeboten, dass sie ihn auf seinen Reisen begleiten durfte, und sie hatte den sicheren Eindruck, dass dieser Mann keine leeren Versprechungen machte. War das nicht eigentlich das, was sie wollte – reisen, ferne Länder sehen, noch dazu in Begleitung eines so welterfahrenen Kaufmanns?
Vor allem aber dachte sie dabei an Joseph. Sie hasste es, ihren Vater unglücklich zu machen, und sie hatte den Eindruck, dass sie Joseph sehr glücklich machen würde, wenn sie in die Heirat einwilligte.
G ILBERTS V ISION VON DER L IEBE
A n diesem Abend ging es im Rittersaal der Wolkenburg ruhiger zu, denn die Spielleute waren abgereist. Konrad war ganz erfüllt von den Erlebnissen des Tages und glaubte fast, immer noch Vagabundus' breiten Rücken unter sich zu spüren. Und manchmal schien ihm der Saal zu schwanken, als säße er noch immer im Sattel und nicht auf einem stabilen Holzstuhl.
Brigid, die zu Konrads Erleichterung gesund und wohlbehalten vom Kräutersammeln zurückgekehrt war, saß neben Rainald. Aber zwischendurch schaute sie immer wieder zu Konrad hinüber und lächelte ihm zu. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er Zeit allein mit einer Frau verbracht, und es gingen ihm allerlei verwirrende Gedanken durch den Kopf, die er nicht zu ordnen vermochte.
Dass Brigid Böses im Schilde führte oder von Dämonen besessen war, erschien ihm nun sehr unwahrscheinlich. Er neigte dazu, Anselm zuzustimmen, der dieses ganze Gerede, sie sei eine böse Zauberin, für Unsinn hielt. Hatte nicht auch Abt Balduin gesagt, Hexenglaube sei Aberglaube und widerspräche der Kirchenlehre?
Vor dem Abendessen hatte Konrad Matthäus gefragt, ob er immer noch glaube, dass hier auf der Burg böse Kräfte am Werk seien. Doch der Küchenmeister wollte davon jetzt gar nichts mehr wissen. »Ach, Konrad, ich lerne immer wieder, dass man als guter Christ niemanden vorschnell verurteilen soll. Üble Gerüchte entstehen so schnell! Hat nicht Jesus mit den Zöllnern gespeist, um uns das zu zeigen? Man hat uns hier gastfreundlich aufgenommen. Und vergiss nicht, wir sind bei einem Lehensmann unseres Herrn, des Erzbischofs, zu Besuch. Würden wir Rainald und seiner Frau misstrauen, hieße das, unserem Erzbischof misstrauen. Grüble nicht zu viel über solche Dinge nach, mein Junge. Überlass das den hohen Herren und freue dich lieber an der Abwechslung, einmal einige Tage auf einer stolzen Burg zu verbringen.«
Konrad fragte sich, was bei Matthäus diesen Gesinnungswandel bewirkt hatte. Möglicherweise war es das so erstaunlich freundliche Wesen ihres neuen Abtes. Nach seinem stolzen Heimritt auf Vagabundus war Konrad auf den Bergfried gestiegen, um die Aussicht zu genießen und über das Reiten und seine Lehrmeisterin nachzudenken. Von dort oben hatte er Gilbert und Matthäus im Kräutergarten neben der Burgkapelle sitzen sehen, ins Gespräch vertieft.
Als Konrad und Matthäus später gemeinsam zum Rittersaal gingen, hatte Matthäus ihm gutgelaunt zugeflüstert: »Ich glaube, Gott hat uns diesen Abt geschickt, weil er es gut mit uns meint. Fulbert ist ein alter Schwarzseher. Bei wem Gilbert auch immer studiert haben mag – nie zuvor ist mir ein Mensch begegnet, der so viel Nächstenliebe und Wohlwollen ausstrahlt!« Nach dem wieder sehr üppigen Essen reichte der Diener Konrad eine Schale mit Wasser und ein Tuch. Im Kloster musste man alle Handgriffe selbst tun, wie es sich für einen demütigen Mönch gehörte. Bedient zu werden, fand Konrad neu und ungewohnt, und ihm war nicht wirklich wohl dabei. Bestand nicht die Gefahr, dass solche Bequemlichkeiten den Menschen eitel und träge machten?
Während Konrad sich die Hände wusch, glitt
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