Der Mönch und die Jüdin
gezählt. Dir aber wünsche ich eine lange, goldene, segensreiche Zukunft, wenn ich meine Hand nicht mehr schützend über dich halten kann. An Salomons Seite wärest du versorgt und behütet. Wenn ich mir allerdings ausmale, du stündest unter Nathans Obhut, wird mir angst und bange.«
Da sprang Hannah auf und legte die Arme um ihren Vater. »Sorgt Euch nicht so sehr um Eure Gesundheit, bestimmt geht es Euch bald schon wieder besser! Ich bin mir sicher, Euch sind noch viele Jahre vergönnt. Und sorgt Euch nicht um mich. Es wird gewiss alles gut.« Doch als sie ihn umarmte, fühlte sie, wie mager sein Körper geworden war. Mühsam unterdrückte sie ihre Tränen und zwang sich zu einem mutigen Lächeln.
Auch Joseph lächelte und strich ihr liebevoll durchs Haar, wie er es während ihrer Kindheit immer getan hatte. »Ja«, sagte er, »alles wird gut. Nichts wünsche ich mir mehr als dein Glück, meine kluge Taube.«
Eine Weile schwiegen sie, dann klopfte es an der Tür, und der Diener Aaron kündigte Samuel ben Isaak an. Joseph zog sich mit einer höflichen Verbeugung zurück und überließ, wie versprochen, seinem Gast das Feld.
Als ihr Vater hinausgegangen war, fühlte sich Hannah sehr allein. Es gab ja nicht nur die Regungen ihres Herzens, es gab auch Verantwortung – ihrer Familie gegenüber, und vor allem ihrem Vater gegenüber, dem sie alles verdankte und den sie über alles liebte.
Sie hatte sich wieder auf ihren Stuhl gesetzt und ihre Wollstola enger um die Schultern gezogen. Salomon trat ein und kniete vor ihr nieder, was ihm, trotz seines gewaltigen Bauches, recht elegant gelang. Als er sich wieder erhob, schnaufte er dann aber doch etwas. Er setzte sich auf den frei gewordenen Stuhl und sagte: »Ich nehme an, Hannah, Ihr träumt von einem schönen, aufregenden jungen Mann, der Euch mit antiken Versen betört, belesen und gebildet ist, aber dennoch ein Schwert zu führen versteht, um Euch zu beschützen, wenn Ihr mit ihm die große weite Welt erkundet.«
Hannah schaute ihn verwundert an. Dass er das Gespräch auf solche Weise beginnen würde, hatte sie nicht erwartet. »Wenn Ihr das wisst, warum bemüht Ihr Euch dann um meine Gunst – wo diese Beschreibung auf Euch doch offensichtlich nicht zutrifft?«
Sobald sie diese Worte ausgesprochen hatte, taten sie ihr sofort leid, denn das war gemein und respektlos gewesen gegenüber einem Gast ihres Vaters. Insgeheim hoffte sie, dass Salomon nun wütend aufspringen und auf Nimmerwiedersehen in Richtung Speyer verschwinden würde.
Stattdessen lächelte er gemütlich in seinen gepflegten silbernen Bart und erwiderte: »Für die maßvolle Vernunft des reifen Alters ist es schwer, gegen die pochende Liebe eines jungen Herzens zu konkurrieren. Bedenkt aber, dass ich Euch Möglichkeiten eröffnen kann, die einem jungen Mann nicht zu Gebote stehen. Und denkt nicht, ein Mann meines Alters wäre zu romantischen Gefühlen nicht fähig.« Er zog einen kleinen, filigranen, wunderschön aus Silber gearbeiteten Schmetterling aus der Tasche und legte ihn vor Hannah auf den Tisch. »Nehmt ihn, ich schenke ihn Euch.«
Zögernd nahm sie das Kleinod und betrachtete es im Licht der Nachmittagssonne, das durch die geöffneten Fensterläden fiel. »Diese Brosche ist wirklich wunderschön«, sagte Hannah.
Die Schönheit von Josephs Haus und vor allem der Bibliothek war geistiger Natur, war ganz dem Lernen und dem geistigen Wachstum geweiht. Als Hannah den hübschen kleinen, mit winzigen roten Edelsteinen besetzten Schmetterling in der Sonne schimmern sah, spürte sie genau wie beim Betrachten der Ohrringe ein Verlangen nach sinnlicher Schönheit, die sich mit den Händen greifen und spüren ließ. Für einen Moment sah sie sich vor ihrem inneren Auge in einem großen, reich ausgestatteten Kontor arbeiten, wo mit solchen schönen Dingen gehandelt wurde – wo Diademe und Ringe und Ketten funkelten und glänzten, Hannah ihre Finger über edle, exotische Stoffe gleiten lassen konnte und betörende Düfte die Luft erfüllten. Sie musste zugeben, dass Salomons Angebot verlockend war. Es brachte eine Saite in ihr zum Klingen, von der sie bisher nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt existierte.
»Euer Vater liebt die Schönheit, die sich in den geistigen Werken der Dichter und Philosophen ausdrückt. Glaubt mir, das respektiere ich sehr. Die Schönheit aber, die ich liebe, ist von anderer Art. Ich glaube, dass auch Ihr Gefallen an dieser Schönheit finden würdet. Dieser
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