Der Mönch und die Jüdin
Gilbert: »Ich … ich würde Euch gern etwas fragen.«
Gilbert nickte aufmunternd. »Nur zu.«
»Anselm von Berg erzählte mir, dass er eine Eurer Schriften gelesen hat, in der Ihr Euch mit der Liebe beschäftigt.«
»Da handelte es sich sicherlich um meine Abhandlung über das Hohelied. Das ist eigentlich die einzige Schrift von mir, die eine größere Verbreitung gefunden hat.«
»Das Hohelied?« Damit kannte sich Konrad zu seiner Freude recht gut aus, denn Bernhard von Clairvaux verfasste immer wieder Predigten, in denen er sich mit dem Hohelied Salomos beschäftigte. »Ich habe einige Predigten des Bernhard von Clairvaux über das Hohelied kopieren müssen. Für Bernhard ist das Hohelied ein Lobgesang auf die Liebe zwischen der menschlichen Seele und Gott – die Seele ist die Braut und Gott der Bräutigam.«
»Das habt Ihr Euch gut gemerkt, Konrad«, sagte Gilbert anerkennend. »Bernhards Deutung des Hoheliedes ist mir wohlbekannt. Der Zisterzienser ist ein bemerkenswerter Mann, und ich respektiere seine Ansichten und seine tiefe Frömmigkeit. Leider fällt es ihm schwer, neben seiner eigenen Meinung auch andere gelten zu lassen. Darunter hat mein Lehrmeister, Petrus Abaelards, sehr leiden müssen. Voll Kummer über das päpstliche Lehrverbot und die Verbrennung seiner Bücher ist er im Kloster von Cluny gestorben. Bis heute begreife ich nicht, warum ein so frommer Mensch wie Bernhard sich dazu hinreißen ließ, meinen Meister beim Papst und vielen führenden Geistlichen aufs schlimmste zu verleumden. Jede ehrliche, offene Aussprache über Abaelards theologische Positionen hat Bernhard verweigert! Dabei wäre gewiss eine Verständigung möglich gewesen, hätte Bernhard nur ein klein wenig Aufgeschlossenheit gezeigt.« Gilbert schüttelte mit traurigem Gesicht den Kopf und starrte ins Feuer.
Brigid hatte tagsüber mit Konrad Deutsch gesprochen, doch jetzt schaute sie Gilbert mitfühlend an und sagte auf Lateinisch: »Wie schade ist es doch, dass die Menschen meist gerade das fürchten, was sie nicht verstehen. Aus der Furcht wird Hass. Und die vom Hass Verblendeten sind dann schnell bereit, Bücher zu verbrennen … oder sogar Menschen.«
Es erstaunte Konrad, von einer Frau Dinge zu hören, die so klug und durchdacht klangen. Das war ihm schon während des Reitunterrichts aufgefallen. Balduin hatte gelehrt, Frauen seien dem Mann sowohl charakterlich als auch, was die Intelligenz anging, vollkommen unterlegen. Doch mit Brigid konnte man erstaunlich anspruchsvolle Gespräche führen, ja, sie konnte sogar lesen und schreiben und sprach ein ziemlich flüssiges Latein!
»Das Schicksal, auf den Scheiterhaufen geführt zu werden, ist Abaelard glücklicherweise erspart geblieben«, sagte Gilbert. »Doch wenn man Bernhards Verleumdungstiraden gegen ihn liest, bekommt man den Eindruck, dass mein Meister dem Feuertod nur knapp entgangen ist.«
Konrad wusste nicht, ob er glauben sollte, was Gilbert da über Bernhard von Clairvaux erzählte. Auch Anselm hatte sich sehr negativ über das Oberhaupt der Zisterzienser geäußert. Fulbert und Balduin waren dagegen stets voll des Lobes für Bernhard gewesen. Noch kurz vor seinem Tod, in einer seiner letzten Predigten, hatte Balduin den Abt von Clairvaux als einen ›wahren Heiligen unserer Tage‹ gepriesen. Niemand in der jetzigen Zeit sei so wie Bernhard in der Lage, das Wort Gottes mit absoluter Vollkommenheit zu deuten. »Bisher habe ich …« Konrad zögerte, fasste dann aber Mut und fuhr fort: »… habe ich in unserem Kloster nur Gutes über Bernhard gehört. Aber wenn Eurem Meister Unrecht geschehen ist, bedauere ich das zutiefst. Vielleicht … vielleicht war das ja alles nur ein tragisches Missverständnis. Bestimmt hatten Bernhard und auch Euer Meister Abaelard nur Gutes im Sinn.«
Gilbert schüttelte, immer noch mit bekümmerter Miene, den Kopf. »Dessen bin ich mir, was Abaelard angeht, sicher. Bei Bernhard möchte ich es gerne glauben, aber leider sprechen seine Verleumdungsbriefe eine andere Sprache.«
Konrad wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte. Auf keinen Fall wollte er seinen neuen Abt kränken, der ganz offensichtlich tiefe Zuneigung für Abaelard empfand. Er mochte aber auch nicht alles in Frage stellen, was er von Balduin und Fulbert gelernt hatte. Also schwieg er hilflos, obwohl er das drängende Gefühl verspürte, irgendetwas sagen zu müssen.
Zu seiner Überraschung kam ihm Brigid zu Hilfe: »Auch mich würde sehr interessieren, wie Ihr
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