Der Mönch und die Jüdin
freudige Aufregung, die er schnell zu unterdrücken versuchte.
Gilbert hatte Dinge über die Liebe gesagt, die im Lichte dessen, was Konrad im Kloster gelernt hatte, absolut empörend klangen. Wie konnte er die Gefühle, die Menschen untereinander hegten, ja sogar das, was sie gegenüber ihren Haustieren empfanden, gleichsetzen mit der Liebe zu Gott? Das war gewiss Häresie. Doch die Art, wie Gilbert diese eigentlich ungeheuerlichen Dinge sagte, machte es einem schwer, Empörung oder Abscheu zu empfinden. Er strahlte so viel Güte aus, sein Lächeln war so warmherzig und freundlich. Fast kam er Konrad vor wie Jesus, als er im Tempel gepredigt hatte. Aber das war natürlich ein ganz und gar ungehöriger Gedanke, den Konrad sogleich wieder verwarf.
»Leider haben uns die Spielleute ja verlassen«, sagte Anselm, »aber Gilberts Worte über die Liebe zwischen Mann und Frau lassen mich an die wunderbaren Lieder denken, die ich in Aquitanien kennenlernte, dem Land der Troubadoure. Besonders eines kommt mir dabei in den Sinn. Wilhelm, der große Herzog von Aquitanien, hat es verfasst. Meine Stimme kann sich nicht mit der eines Troubadours messen, aber ich will es Euch doch gerne vortragen.«
»Ein provenzalisches Lied vom großen Wilhelm! Nur zu, Anselm!«, sagte Rainald erfreut. »Ich selbst habe auf meiner Ritterfahrt dieses sonnige, freundliche Land im Süden besucht. In unserer Bibliothek hier auf der Burg befindet sich auch eine Handschrift, die ich damals mitgebracht habe. Sie enthält Lieder von Wilhelm und einigen anderen provenzalischen Dichtern. Nur zu, bringt etwas Liebesglühen in unsere kühlen Mauern!«
Leise, dann immer kräftiger, begann Anselm zu singen. Bei den liturgischen Gesängen im Kloster hatte er immer ziemlich lustlos vor sich hin gebrummt, doch jetzt füllte eine warme, volltönende Bassstimme den Rittersaal. Konrad hätte nicht gedacht, dass Anselm solche schönen Töne hervorbringen konnte. Der Mönchsritter sang Wörter in einer melodisch klingenden Sprache, die Konrad noch nie zuvor gehört hatte. Sie war dem Lateinischen verwandt, aber doch so anders, dass Konrad den Sinn der Verse nicht verstand. Als Anselm geendet hatte, verneigte er sich erst vor Brigid, dann vor Rainald. Alle klatschten Beifall.
Der Burgvogt sagte: »Mir sind diese wunderschönen Verse wohlbekannt. Sie erinnern mich an die glückliche Zeit, die ich dort im warmen, milden Süden verlebte. Doch außer mir und meiner Brigid – sie diese Sprache der Liebe zu lehren, war mir ein romantisches Vergnügen – und vielleicht noch dem Magister Gilbert hat gewiss niemand im Saal den Sinn der Strophen verstanden. Wollt Ihr Wilhelms Verse nicht übersetzen?«
»Wäre ich so von der Gabe der Dichtkunst beseelt wie Wilhelm und seinesgleichen, würde auch ich als Troubadour an Königshöfen singen«, erwiderte Anselm. »Verzeiht also, wenn meine Übersetzung die Schönheit von Wilhelms Lyrik nur sehr unvollkommen wiedergibt:
Jede Freude muss sich beugen
und aller Adel gehorchen
meiner Dame, ihrer Güte
und der süßen Schönheit ihres Gesichts;
und hundertmal länger wird der leben,
dem sie ihre Liebe schenkt.
Da niemand eine edlere Frau finden,
kein Auge eine sehen,
kein Mund eine beschreiben kann,
möchte ich sie ganz für mich,
damit sie meinem Herzen Frische bringen
und mein Fleisch erneuern möge,
so dass es niemals alt wird.«
»Brigid!«, rief Rainald zärtlich, »komm an meine Brust! Bringe meinem Herzen Frische, auf dass ich niemals alt werde!«
Sie lachte, lief zu ihrem Mann, und er drückte sie in einer innigen Umarmung an sich. Die anderen Anwesenden hoben ihre Becher und ließen den Herrn und die Herrin der Wolkenburg hochleben. Dann stimmten Rainald, Wolfram und Sigismund ein fröhliches Trinklied an, in das auch Matthäus und Anselm einfielen.
Inmitten dieser ausgelassenen Stimmung überfiel Konrad eine bleierne Müdigkeit. Sein Kopf schwirrte von den vielen Eindrücken, und seine Glieder schmerzten. Mit Sorge dachte er daran, dass er morgen den ganzen Tag im Sattel sitzen würde.
Gilbert, der immer noch neben ihm saß, sagte mitfühlend: »Niemand wird es Euch übelnehmen, wenn Ihr Euch zurückzieht, Konrad. Viele neue Erfahrungen sind heute auf Euch eingestürmt, und das wird in den folgenden Tagen nicht anders sein. Gönnt Euch also eine gute Prise Schlaf.«
Erleichtert stand Konrad auf. Am liebsten wäre er rasch und unauffällig hinausgegangen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, doch Rainald sah ihn und
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