Der Mönch und die Jüdin
»Bitte!«, flehte die blonde Dirne hinter ihm. »Sag meinem Herrn nicht, dass du unzufrieden mit mir warst. Bitte, komm zurück!«
Nackt rannte er die Treppe hinunter, suchte in dem Holzregal fieberhaft nach seinen Kleidern, und als er sie endlich fand, streifte er sie hastig über und eilte hinaus an die frische Luft. Dort stand er einen Moment schwer atmend in der Abendkühle und versuchte, die Fassung wiederzugewinnen. Dann nahm er den Pfad zurück in die kleine Stadt.
Mit leerem Blick, sich allein und verloren fühlend, irrte er durch die Gassen Bonns und hatte Mühe, die Herberge wiederzufinden. Als er sie schließlich doch als großen Schatten vor dem Fluss aufragen sah, blieb er zögernd draußen stehen. Er hörte den Lärm der Trunkenbolde drinnen in der Schenke, aus der mattes Licht auf die Gasse fiel. Eine heftige Sehnsucht nach Matthäus und seiner Küche überkam ihn, nach dem herzlichen Lachen des dicken Mönchs, nach den duftenden Kräutern und dem wärmenden Herdfeuer. Tränen stiegen ihm in die Augen, aber er wischte sie rasch weg und wagte sich in die Schenke. Dabei musste er einem stinkenden, vor sich hin lallenden Zecher ausweichen, der aus der rauchgeschwängerten Luft hinaus ins Freie torkelte.
Schnell huschte Konrad an der Theke vorbei und die enge Stiege hinauf. Die Fensterläden in dem Zimmer mit den vier Betten standen weit offen, so dass der Raum vom Mondschein in silbernes Licht getaucht wurde. Gilbert von Nogent lag rücklings auf einem Bett, die Hände auf der Brust gefaltet. Für einen Augenblick erschrak Konrad, denn der Magister theologicae lag in dem fahlen Licht da wie ein Toter. Doch da drehte Gilbert den Kopf und schaute ihn an.
Vermutlich fragte Gilbert sich, warum Anselm nicht bei ihm war. »Ich … bin früher gegangen«, stammelte Konrad erklärend. »Mir … hat es in diesem … diesem Haus nicht gefallen.« Er konnte Gilberts Gesicht nur schemenhaft erkennen, aber es schien ihm, dass der Mann aus Paris lächelte.
»Diese Häuser sind nicht nach jedermanns Geschmack«, sagte er sanft. »Es ist keine Schande, wenn es Euch dort nicht gefällt, Konrad. Deswegen braucht Ihr Euch nicht zu schämen.«
»Abt Balduin hatte recht«, sagte Konrad und setzte sich schwerfällig auf sein Bett. »In Badehäusern wohnen die Sünde und das Laster! Fromme Menschen sollten sich von solchen Orten fernhalten. Es … es gibt dort böse Weiber. Hübscherinnen.«
»Es ist nicht unbedingt so, dass diese Frauen böse sind, Konrad. Viele gehen aus purer materieller Not diesem Gewerbe nach. Oder sie werden von brutalen Männern mit Gewalt dazu gezwungen.«
Voller Unbehagen musste Konrad an die ängstliche Stimme der blonden Dirne denken, als sie ihn angefleht hatte, ihrem Herrn nichts zu sagen. Ob sie geschlagen werden würde, weil er vor ihr davongelaufen war? Doch musste ihn das kümmern? Sie lebte in Sünde und beschwor damit ohnehin Höllenqualen für sich herauf.
»Aber wir sollen doch die Sünde meiden«, sagte Konrad. »Ist es denn nicht Gottes Wille, dass wir fromm und ohne Sünde leben sollen?«
Gilbert seufzte leise. »Unser Herr Jesus Christus hat gesagt, dass wir vor allem ein Gebot befolgen sollen: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Der Herr Jesus ist den Sündern und den Gestrauchelten mit Liebe begegnet. Er ist in ihre Häuser gegangen und hat mit ihnen gespeist. Wenn Ihr Euch hinaus in die Welt wagt, werden Euch viel Sünder und Gestrauchelte begegnen, Konrad, und manche böse Tat. So sind die Menschen. Und doch hat Jesus uns gesagt, dass Liebe die einzige Antwort darauf ist. Glaubt mir, eines Tages werdet Ihr das verstehen, und dann habt Ihr die Botschaft des Evangeliums wirklich begriffen. Lasst uns jetzt schlafen, um Kraft für morgen zu schöpfen. Köln wird gewiss eine interessante Erfahrung für Euch.«
Mit seiner gütigen Stimme erschien ihm Gilbert in diesem Moment fast wie ein Heiliger. Konrad entspannte sich etwas. Er hüllte sich in die muffig riechende, unangenehm kratzende Decke, rollte sich zusammen und versuchte zu schlafen.
Doch das Bett war voller Flöhe, die schon bald unbarmherzig über ihn herfielen, so dass Konrad kaum ein Auge zubekam. Als er zwischendurch doch einmal für kurze Zeit einschlief, erschien ihm Brigids Gesicht im Traum. Brigid war eine anständige, ehrbare Frau, das spürte er deutlich. Während er seinen von den Flöhen gepeinigten Körper kratzte, fragte er sich, ob nicht auch in dem von Sünde befleckten Körper der blonden
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