Der Mönch und die Jüdin
Hübscherin eine Seele steckte, die nach der göttlichen Liebe hungerte und durch sie erlöst werden konnte.
Vielleicht hätte ich nicht vor ihr davonlaufen dürfen, überlegte er, vielleicht wäre es meine Aufgabe als frommer Mönchsnovize gewesen, mit ihr gemeinsam zu beten und sie zu einem Leben ohne Sünde zu bekehren.
D IE S TIMME DES V OLKES
D ie Kanzlei des Erzbischofs bestellte regelmäßig bei Joseph ben Yehiel Pergamente, Tinten und Federkiele. Ungefähr alle zwei Monate brachte ein Botenjunge die neue erzbischöfliche Bestellung in Josephs Kontor. In der Kanzlei schätzte man Joseph, weil er nur Ware bester Qualität lieferte, und zwar zügig und zu annehmbaren Preisen. Leider waren auf der jüngsten Bestell-Liste zwei Posten unleserlich gewesen – der Schreiber hatte offenbar einen schlechten Tag gehabt. Darum war Hannah von ihrem Vater frühmorgens zur Bischofskanzlei neben dem Dom geschickt worden, um die beiden Posten nachtragen zu lassen.
Hannah hatte ihren Vater schon einige Male dorthin begleitet, so dass die schiere Größe der Kanzlei, die auf den Grundmauern eines mächtigen Gebäudes aus der Römerzeit errichtet worden war, sie nicht mehr so beeindruckte. Drinnen ließ der mürrisch dreinschauende Schreiberling, dem sie das Problem schilderte, sie ziemlich lange warten, ehe er mit der korrigierten Bestell-Liste zurückkehrte, auf der die fraglichen Posten nun gut lesbar waren. Sie bedankte und verabschiedete sich freundlich, doch er brummte nur etwas Unverständliches vor sich hin und würdigte sie keines Blickes.
Bereits auf dem Hinweg war ihr aufgefallen, dass draußen auf dem Platz vor dem Dom eine große hölzerne Tribüne errichtet worden war, die man mit einer Überdachung aus rotem Stoff versehen hatte. Handwerker waren damit beschäftigt, letzte Bretter festzuklopfen und zwei Gruppen von Sitzbänken auf der Tribüne zu befestigen, die durch eine Art Zaun aus dünnen Holzpfählen voneinander getrennt waren. Inzwischen hatte sich eine Schar von Schaulustigen versammelt, um den Fortgang der Arbeiten zu verfolgen.
Auch Hannah blieb interessiert stehen und fragte einen der Zuschauer, was denn hier los sei. Der junge Mann trug einen Korb mit Fischen auf dem Rücken, die er offenbar irgendwo in der Stadt ausliefern musste. »Ein paar üble Gotteslästerer sind vom Erzbischof in den Kerker geworfen worden. Übermorgen wird ihnen öffentlich der Prozess gemacht.« Er grinste. »Bestimmt werden sie auf dem Scheiterhaufen brennen. Das wird ein Feuerchen werden! Solltest dir das Spektakel auf keinen Fall entgehen lassen, Mädchen.«
Hannah fand die Vorstellung furchtbar, dass Menschen auf so grausige Art ihr Leben lassen mussten, was auch immer sie Gotteslästerliches gesagt oder getan haben mochten.
»Ist ja noch nicht sicher, ob sie wirklich brennen werden«, mischte sich ein anderer, älterer Mann in das Gespräch ein. »Der Erzbischof will ihnen Gelegenheit geben, öffentlich ihren Standpunkt zu verteidigen. Reine Zeitverschwendung, wenn ihr mich fragt.«
Hannah gefielen diese Leute und ihr Gerede nicht, aber wissbegierig, wie sie nun einmal war, stellte sie eine weitere Frage: »Was wird diesen Leuten denn vorgeworfen?«
Neben dem älteren Mann stand ein großer, hagerer Bursche, den Hannah vom Sehen kannte. Er hieß Thietbert und befehligte am Hafen jene Schauerleute, deren Arbeit es war, die großen Koggen zu be- und entladen. Manchmal transportierte er auch mit seinen Männern für Joseph und andere Kaufleute Waren zwischen dem Hafen und den Kontoren hin und her, wofür er sich stets fürstlich entlohnen ließ. »Das sind Häretiker der schlimmsten Sorte, sage ich euch. Denen ist nichts heilig. Sie spotten über den Papst und die heilige römische Kirche und schrecken nicht einmal davor zurück, den Herrn Jesus selbst zu verhöhnen. Glaubt mir, wenn der Erzbischof sie nicht ins Feuer schickt, wird schon bald der Teufel persönlich Einzug in unserer Stadt halten!«
Der junge Mann mit den Fischen und der ältere machten erschrockene Gesichter. Eine Frau bekreuzigte sich ängstlich. Nun bemerkte Thietbert Hannah und starrte sie böse an. »Dich kenne ich doch! Du bist die Tochter von einem dieser jüdischen Schacherer! Was treibst du dich hier unter frommen Christenmenschen herum, statt in deinem Viertel zu bleiben, wo du hingehörst?«
»Eine Jüdin? Siehe da! Überall macht dieses Pack sich breit und treibt seine krummen Geschäfte. Wenn ihr mich fragt, sollte man die Juden
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