Der Mönch und die Jüdin
Und doch schrieb Brigid solche geistvollen Gedichte und schien, obwohl kaum älter als Konrad selbst, bereits eine begnadete Heilkundige zu sein. Und dann war da diese geheimnisvolle Vertrautheit zwischen ihnen, als ob Brigid und er sich schon lange Zeit kennen würden. Nie zuvor hatte er einen Menschen getroffen, mit dem er so vertraut sprechen konnte wie mit ihr.
Er rollte das Pergament wieder ein, verstaute es sorgfältig und stieg die enge Treppe hinunter. Das Dämmerlicht und die schale, verrauchte Atmosphäre im Schankraum der Herberge fand Konrad nur schwer erträglich. Er sehnte sich nach frischer Luft.
Der Wirt servierte ihnen Hafergrütze und Wirsinggemüse und machte dazu ein mürrisches, verdrießliches Gesicht. Gilbert aß nur wie ein Spatz, stand schon bald auf und sagte, er wolle vor der Abreise drüben in der Kirche noch etwas beten.
»Dann kommen wir mit den Pferden und dem Gepäck zur Kirche nach, und wir reiten von dort aus los«, schlug Anselm vor. »Das spart Zeit.« Gilbert war einverstanden und ging.
Anselm hatte in der Nacht Unzucht getrieben, doch das schien seinen Appetit in keiner Weise zu beeinträchtigen. Er langte überaus herzhaft zu. Dabei hing er schweigend seinen Gedanken nach, was Konrad durchaus angenehm war, weil er fürchtete, dass ein Gespräch zwischen ihnen schnell einen unerfreulichen Verlauf genommen hätte. Nach allen Grundsätzen, die Konrad im Kloster beigebracht worden waren, gab es für Anselms Verhalten keine Entschuldigung. Er hatte eine schwere Sünde begangen. Und das Geschenk, das er Konrad angeboten hatte, war ein Hohn auf Konrads gesamte klösterliche Erziehung gewesen. Wie hatte Anselm so etwas tun können? Und das, obwohl er am Hof des Erzbischofs ein so hohes, verantwortungsreiches Amt bekleidete. Oder hatte der Bischof Anselm deshalb für einige Monate zu ihnen ins Kloster geschickt? Um ihn für seinen lasterhaften Lebenswandel zu bestrafen? Nun, dann hatte diese Strafe offensichtlich nichts bewirkt.
Außerdem konnte Konrad immer noch nicht fassen, dass Geistliche in diesem Haus des Lasters ein und aus gingen! Wie konnten sie den Menschen, für deren Seelenheil sie verantwortlich waren, Moral predigen und selbst solche Verfehlungen begehen? Das wollte Konrad nicht begreifen. Dann dachte er wieder an Gilberts Mahnung, allen Menschen, auch den Sündern, mit Liebe zu begegnen. Jesus nachzufolgen war wahrhaftig keine leichte Aufgabe.
Da Anselm schweigsam sein Essen vertilgte, lauschte Konrad ein wenig auf die Gespräche der ersten frühen Zecher, die sich an der Theke versammelt hatten. Sie redeten über das Wetter, das allgemein als für die Jahreszeit zu kühl betrachtet wurde, über das Rheinhochwasser, das mit seiner starken Strömung den Fischfang erschwerte, und sie schimpften auf den Erzbischof, der wieder einmal die Steuern erhöht hatte. »Die hohen geistlichen Herren mästen sich auf unsere Kosten«, murrte einer. »Genau so ist es!«, sagte ein anderer. »Es müsste endlich mal einer kommen, der diesen Saustall aufräumt, so wie der Herr Jesus einst die Händler aus dem Tempel vertrieben hat.«
Konrad fand es bestürzend, wie verächtlich sie über den geistlichen Stand sprachen. Fürchteten diese Männer denn gar nicht um ihr Seelenheil? Er fragte sich, ob die Menschen in Neuwerth hinter ihrem Rücken auch so schlecht über die Mönche des Klosters redeten. Aber Abt Balduin hatte stets darauf geachtet, dass den Bauern keine zu hohen Abgaben auferlegt wurden. »Sie müssen selbst noch ihr Auskommen für sich und ihre Familien haben, das gebietet uns die Nächstenliebe«, pflegte er zu sagen, und außerdem spielte das Kloster im Alltag der Menschen eine wichtige Rolle. Die Mönche übernahmen die Gottesdienste, sprachen Fürbitten, vollzogen Taufen und Hochzeiten und segneten die Äcker.
Konrad wusste nicht, ob der Erzbischof oder seine Lehnsmänner hier im Raum Bonn sich gleichfalls an dieses Prinzip hielten, den Menschen immer genug zum Leben zu lassen. Aber wie hätten fromme Männer sich anders verhalten können? Das erschien ihm doch sehr unwahrscheinlich.
»Nach allem, was man hört, führt der feine Herr Erzbischof in seinem Palast ein Lotterleben und verprasst die Abgaben, für die wir uns krummschuften müssen. Was mich betrifft, kann er gerne zur Hölle fahren, der gute Herr Bischof!«, sagte ein großer, vierschrötiger Mann finster.
»Halt dein Maul!«, fuhr ihn der Wirt an. »Willst du, dass uns jemand die Soldaten auf den Hals
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