Der Mönch und die Jüdin
gleich mit auf den Scheiterhaufen schicken, dann ginge es in unserer Stadt sauberer zu!« Die Frau, die das mit schriller, unangenehmer Stimme sagte, wirkte eigentlich ganz gutmütig mit ihrem rundlichen Körper und roten Pausbacken. Doch der Hass, der jetzt ihr Gesicht verzerrte, machte sie unansehnlich.
Hannah wich ängstlich zurück und stieß, als sie sich umdrehen und davonlaufen wollte, gegen einen großen Mann mit einem silbernen Brustharnisch. Erleichtert sah sie, dass es sich um einen erzbischöflichen Soldaten handelte. »Lauf rasch in dein Viertel, Mädchen«, sagte er leise zu ihr. »Die Stimmung ist im Moment nicht gut in der Stadt. Ohne Begleitung solltest du das Judenviertel besser nicht mehr verlassen.«
Sie nickte und lief rasch davon, drehte sich dabei aber noch einmal um und sah, wie der Soldat die Leute auseinandertrieb. »Was steht ihr hier herum und gafft?«, bellte er. »Wisst ihr nichts Besseres mit eurer Zeit anzufangen?«
Thietbert entgegnete in aufmüpfigem Ton: »Was beschützt du ein Judenweib und jagst uns ehrbare Leute davon?«
»Der Erzbischof hat den Juden ihre Rechte garantiert«, sagte der Soldat. »Sie dürfen in der Stadt wohnen und ihren Geschäften nachgehen, und sie stehen genauso unter seinem Schutz wie ihr auch. Und jetzt geh deines Weges, Bursche! Sonst machst du Bekanntschaft mit meinem Schwert!«
Zum Glück war der Weg vom Domplatz bis ins jüdische Viertel nicht weit. Als Hannah die kleine Welt ihres behüteten Alltags erreichte, atmete sie auf. Während sie den Platz an der Synagoge überquerte, fiel ihr Blick auf das große, mit bunten Buchstaben bemalte Schild von Shimon ben Meirs Herberge. Sie riskierte einen Blick durch den Torbogen in den Innenhof des stattlichen Hauses und sah dort den prächtigen Reisewagen des Salomon ben Isaak stehen. Wenn nur Salomon selbst nicht plötzlich auftauchte! Seinen Schmetterling bewahrte sie noch in ihrem Zimmer auf, denn sie hatte sich bislang nicht dazu entschließen können, ihn endgültig zurückzusenden.
Nun blieb sie doch einen Moment zögernd stehen. Salomon mit seinen schwerbewaffneten Dienern und den Reitern, die er unter Waffen hielt, um seine Karawanen zu sichern. Salomon mit seinem unermesslichen Reichtum. Wenn überhaupt jemand sie und ihre Familie vor Hass und Verfolgung beschützen konnte, dann er. Wie kann ich so verrückt sein, ihn nicht zu heiraten, fragte sie sich, noch dazu in für uns Juden so unsicheren Zeiten? Muss ich es nicht schon allein aus Verantwortungsbewusstsein gegenüber meinen Lieben tun – Vater, Mutter und Rebekka? Geh hinein in die Herberge und sage ihm, dass du es dir anders überlegt hast, drängte die Stimme ihres Verstandes, das ist das Beste, was du tun kannst.
Doch Hannahs Herz sträubte sich dagegen. Wie soll ich mich nur entscheiden?, dachte sie. Mein Verstand sagt ja, doch mein Herz sagt nein! Sie seufzte und ging weiter.
E IN NEUER A POSTEL
A ls Anselm irgendwann mitten in der Nacht laut polternd in die Herberge zurückgekehrt war, hatte Konrad sich schlafend gestellt. Anselm warf sich aufs Bett und schlief sofort laut schnarchend ein. Nachdem er endlich seinen Rausch ausgeschlafen hatte, war die Sonne längst über den Waldhügeln des Siebengebirges aufgegangen, wo in der Ferne die Zinnen der Wolkenburg in den Morgenhimmel ragten.
Das, was am vergangenen Abend vorgefallen war, erwähnte Anselm – zu Konrads riesengroßer Erleichterung – mit keinem Wort. Der Mönchsritter wirkte etwas knurrig, was wohl auf seinen Kater zurückzuführen war, ließ sich gegenüber Konrad aber nicht anmerken, ob er ihm in irgendeiner Weise grollte.
Ehe Konrad zum Frühstück hinunterging, rollte er das Pergament mit Brigids Gedicht aus und las es im Stillen.
Schau, im heiligen Hain grünt der Lebensbaum!
Das Wunder der Schöpfung trägt dich und mich.
Liebendes Herz, träume den heilenden Traum!
Im Garten der Zeit wollen wir wandern ewiglich.
Brigid war eine Frau – ein weltliches Eheweib noch dazu –, die Empfindungen und seelenvolle Gedanken äußerte, wie Konrad sie nur bei ganz durchgeistigten, hochstehenden Äbten und Gelehrten erwartet hätte, bei Männern also vom Range eines Gilbert von Nogent oder Bernhard von Clairvaux. Seine Achtung vor Gilbert stieg immer mehr, so dass er inzwischen dazu neigte, ihn Bernhard für ebenbürtig zu halten. Bei einer Frau aber hätte er dergleichen niemals für möglich gehalten, nach allem, was ihm im Kloster über die Weiber erzählt worden war!
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