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Der Mönch und die Jüdin

Der Mönch und die Jüdin

Titel: Der Mönch und die Jüdin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Görden
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so ehrwürdigen Theologen wie Bernhard von Clairvaux zu kritisieren?«, hatte er Konrad angeschrien. »Ich verbiete dir solche sündhaften, ketzerischen Gedanken! Schweig und tue demütig deine Pflicht!«
    Als Konrad nun sah, wie viele Menschen sich vor der Kirche versammelt hatten, hörte er Anselm mit zusammengebissenen Zähnen leise fluchen.
    »Da ist ja ein schönes Spektakel im Gange«, sagte Anselm rau. »Und genau wie ich befürchtet hatte: Unser Gilbert ist mittendrin!«
    Sie ritten nah an den Menschenauflauf heran. Jetzt entdeckte auch Konrad seinen neuen Abt. Gilbert stand ganz vorn, am linken Rand der Menge. Vermutlich war er nach seinem Gebet die Stufen vom Kirchenportal heruntergekommen und stehen geblieben, um zuzuhören. Etwas erhöht, auf der obersten Stufe direkt vor dem Portal, standen zwei Mönche. Der eine trug das weiße Habit der Zisterzienser, der andere die schwarze Ordenstracht der Benediktiner.
    Der Benediktiner wirkte unscheinbar – ein kleiner, rundlicher Mann mit einem weichen, ausdruckslosen Gesicht. Der Zisterzienser dagegen war groß und hager, mit buschigen weißen Augenbrauen, wie aus Stein gemeißelten Gesichtszügen und einer mächtigen Adlernase.
    Der Benediktiner wandte sich an die Menge und sagte mit lauter, überraschend tiefer und kraftvoller Stimme: »Bürger von Bonn, wir leben in finsteren Zeiten! Wir alle, die wir dem Volk Christi angehören, sind schweren Prüfungen ausgesetzt. Im Heiligen Land schänden die dämonischen Heiden unsere Kirchen, und in der Grafschaft Edessa haben sie unsere Brüder und Schwestern grausam hingemetzelt. Unsere schlimmsten Feinde aber, die Mörder Jesu, leben mitten unter uns. Hört, was Radulf zu sagen hat! Wahrlich, dieser Mann ist ein neuer Apostel! Der Heilige Geist spricht durch ihn. Radulf sagt euch, wie ihr dem Höllenfeuer und der ewigen Verdammnis entkommen könnt. Radulf sagt euch, wie ihr eure Seelen retten könnt, indem ihr in den Kampf gegen die Gottesmörder zieht. Hört ihn an!«
    »Was tun die denn da?«, wunderte sich Anselm. »Nach ihrer Kleidung zu urteilen, sind sie beide bloß einfache Mönche, keine Bischöfe oder Äbte. Die haben überhaupt keine Legitimation, vor dem Volk zu predigen.«
    Jetzt trat Radulf, der hagere Zisterzienser, einen Schritt vor und breitete in einer theatralischen Geste die Arme aus. Dann begann er zu predigen, mit einer gewaltigen Stimme, die den Kirchplatz bis in den letzten Winkel ausfüllte. Wie Meereswellen brausten seine markigen Worte über die Köpfe der Zuhörer hinweg. Zu Konrads Überraschung sprach Radulf Latein. Nach jedem Satz machte er eine eindrucksvolle Pause, in der sein kleiner benediktinischer Begleiter das Gesagte in die deutsche Volkssprache übersetzte:
    »Menschen von Bonn! Wie ihr wisst, hat der Papst zum Kreuzzug gegen die Mächte der Finsternis aufgerufen. Gewiss ist es eine ehrenwerte Sache, sich dem großen Kreuzfahrerheer anzuschließen und die Erde des Heiligen Landes mit dem Blut der teuflischen Sarazenen zu tränken, die das Grab unseres Erlösers besudelt und geschändet haben. Jedem, der einen dieser Diener Satans erschlägt, winkten die Vergebung aller Sünden und der Einzug ins Paradies. Aber genügt es, ins Heilige Land zu fahren und dort die Heiden zu bekämpfen und für immer zu vernichten? Wo, so frage ich euch, sitzen die schlimmsten, hinterhältigsten und teuflischsten Feinde der Christenheit? Ich habe gebetet und immer wieder gebetet. Und Gott hat sich mir geoffenbart. Er hat mir den Heiligen Geist gesandt und zu mir gesprochen.«
    Selbst in den Pausen, während der Benediktiner Radulfs Worte übersetzte, füllte der Zisterzienser den Platz mit seiner unheimlichen Ausstrahlung. Konrad war abgestoßen und fasziniert zugleich. Er sah, wie Radulf die Menschen zu fesseln vermochte – mit seinen Augen, die stechend unter den großen Brauen hervorblitzten, mit der donnernden Stimme eines Propheten und kraftvollen Gesten. Obwohl die meisten Zuhörer immer erst auf die Übersetzung warten mussten, um Radulfs Worte verstehen zu können, starrten sie gebannt zu ihm hinauf, als hätte er sie verhext.
    »Gott hat zu mir gesprochen, und er hat mir gesagt, wer seine schlimmsten und ärgsten Feinde sind: Es sind jene, die mit unvorstellbarer Grausamkeit seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn Jesus Christus, ermordet haben. Jene, die keine Gelegenheit auslassen, brave Christen zu betrügen und zu übervorteilen. Es sind die Juden!« Radulf spie das Wort geradezu aus,

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