Der Mörder aus dem Schauerwald
besorgen?“
Willi schüttelte den Kopf. „Keine
Ahnung, wo die sind. Vielleicht bei den Handwerkern.“
„Wozu brauchen wir Schlüssel!“ rief
Tim. „Mit Willis Erlaubnis brechen wir ein.“
Karl hob die gefalteten Hände. „Es wird
immer schlimmer. Wir belügen die Polizei. Wir brechen ein. Wir... Was machen
wir als nächste Straftat? Für lebenslänglich reicht es noch nicht.“
„Karl!“ Tim faßte seinen Freund an den
Armen. „Wir haben uns entschlossen, dem Fall Flühter auf den Grund zu gehen.
Flühter hat Gaby und Oskar gerettet. Der Mann verdient eine Chance. Sollen wir
jetzt vor solchen Kleinigkeiten zurückschrecken? Willi“, wandte er sich an
seinen Freund und Budenkameraden, „weißt du, wo die Hütte steht?“
„Am Ortsanfang, glaube ich;
Stettenborner Straße 100. Das habe ich mir gemerkt. Weil 100 meine
Lieblingszahl ist. 100 Tafeln Schoko unter dem Bett — und ich wäre zufrieden.“
„Die Bushaltestelle“, sagte Gaby, „liegt
an der Stettenborner Straße.“
Tim klatschte die Faust in die
Handfläche.
„Ein kurzer Weg. Das schaffen Sie,
Flühter. Von uns werden Sie gestützt. Gaby und Karl, wenn ihr mal die Gehhilfen
seid, ja? Willi und ich — wir suchen das Haus und sorgen für Einlaß. Ihr geht
bis zum Waldrand. Aber nicht auf dem Weg, sondern in diese Richtung.“
Der gestreckte Arm zeigte am Dickicht
vorbei.
„Dort, unter den Bäumen“, nickte Gaby, „warten
wir auf euch. Ihr bringt dann Flühter ins Haus. Ich sause zur Dorf-Apotheke.
Aber mein Geld reicht nicht. Hast du daran gedacht, Tim?“
Er hatte.
Die Jungs griffen in die Tasche.
Was zusammen kam, reiche aus, meinte
Gaby, für alle erforderlichen Medikamente.
Schwankend und schweratmend stand der
Häftling dabei. Immer wieder glitt sein Blick über die Gesichter.
„So was wie euch“, murmelte er, „gibt’s
kein zweites Mal. Und glaubt mir: Ihr werdet es nicht bereuen, was ihr tut.“
Hoffentlich, dachte Tim.
Zehn Minuten später schnürten er und
Klößchen die Stettenborner Straße entlang.
10. Hinter dem Landhaus
Pliesenbach war nicht Endstation der
Linie 22.
Aber Röder stieg aus.
Er fand ein Taxi und ließ sich zur
Stadt zurückbringen — in den Ortsteil Westkirchen, wo sein Alt-Opel in der
Parklücke stand.
Verrückt so eine Taxi-Fahrt, dachte der
Witwer. Bei dem bißchen Geld, das ich habe. Egal — es mußte sein.
Er fuhr in die Innenstadt.
Der Nachmittag färbte sich grau. Der
Himmel drückte gewaltig. Im Industrie-Viertel sahen die Schneeflocken wie Ruß
aus.
Hinter Röders grauem Vollbart
verkrampften sich die Kiefer wie Tellereisen. Eiskalte Hände steckten in den
Handschuhen. Er spürte die Kälte bis ans Herz.
Umbringen werde ich ihn! Rache für
Christine! Endlich!
Und er wußte auch, wie er es machen
würde.
Beim Flohmarkt konnte er parken.
Er ging durch die Glockengießer-Gasse,
kam an der Mariahilf-Kirche vorbei, zündete sich eine Zigarette an und stellte
fest, daß seine Hände nicht mehr zitterten.
In der Manteltasche fühlte er den
Schraubenzieher, den er aus dem Werkzeugkasten seines Wagens genommen hatte.
Die Neon-Anzeige des Parkhauses war
eingeschaltet.
BELEGT!
Krake Röder kannte die Örtlichkeit.
Der Typ, der dort an der Kasse saß,
hatte nichts zu tun, las die Witzseite eines Wochenblattes und schlürfte
Kaffee.
Röder benutzt die Treppe.
Im dritten Stock war er außer Puste.
Verstohlen sah er sich um.
Ein Wagen stand neben dem andern. Keine
Lücke. Die Luft roch nach Benzin. Drüben beim Lift klappte eine Tür. Niemand
war zu sehen.
Röder ging umher.
Die meisten Wagen trugen hiesige
Kennzeichen — Nummernschilder der Großstadt.
Er wollte andere und entschied sich für
einen Mercedes aus Duisburg.
Außerdem stand der Wagen günstig:
hinten in einer Ecke, zum Teil verdeckt von einem Stützpfeiler.
Röder machte sich an die Arbeit,
schraubte das vordere Nummernschild ab, dann das hintere, versteckte beide
unter seinem Mantel und verließ das Parkhaus.
*
Die Stettenborner Straße endete bei dem
Haus Nr. 100. Dahinter dehnten sich Felder aus — auf der anderen Seite der
Schauer-Wald.
Winterkahle Bäume flankierten die
vielbefahrene Landstraße, die zwar keine Schnellstraße war, aber als solche
benutzt wurde.
Nr. 100 war ein anderthalb-geschossiges
Landhaus mit Walmdach. Das Gebäude breitete sich aus wie ein Weihnachtsstollen,
war oben vom Schnee bezuckert, hatte grüne Fensterläden und ringsum einen
Obstgarten mit mindestens
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