Der Mörder mit der schönen Handschrift
ein vertretbares Risiko eingegangen war und dass er noch nicht an die Stelle gelangt war, an der ihn das Schicksal erwartete.
Wie dem auch sei, erst jetzt bemächtigte er sich des Pakets, denn in Wirklichkeit hatte er sich aus Angst, es zu beschädigen, beim Ertönen des Schusses, scheinbar getroffen, nicht auf, sondern neben das Paket fallen lassen.
Schwerfällig stieg er die Treppe hinauf, um das einfache Tötungswerkzeug zu entfernen, das er schon einmal mit so viel Erfolg ausprobiert hatte. Er stieg wieder hinunter. Vor Violaines unter Gladiolen begrabener Leiche gestattete er sich einen einzigen Seufzer.
Er trat wieder hinaus auf den freien Platz. Er marschierte auf sein Moped zu, wo er vorsichtig seine Trophäe festband, die bei jeder Erschütterung dumpf vibrierte. Er warf seine knatternde Maschine an. Beim Vorbeifahren an dem gespenstisch gefärbten Delage, der im Mondlicht glänzte, machte er einen großen Bogen, um ihn nicht zu berühren.
Nun herrschte auf der Lichtung, auf der das Chalet mit all seinen Lichtern erstrahlte wie am Ende eines Festes, nur noch das gewaltige Rauschen der Lombarde und das der Wälder und das des Bachs. Eine urtümliche Reinheit senkte sich wieder über diese Einöde, die die Menschen für einen Augenblick gestört hatten.
13
DIE Putzfrauen kannten das monatliche Gedenkritual nur allzu gut. Aber am nächsten Morgen waren sie doch etwas beunruhigt, als sie das Porträt des Verstorbenen entdeckten, dessen Rahmen beim Auftreffen auf den Geschirrschrank zerbrochen war, und dazu noch die zwei leeren Wodkaflaschen und den zwischen den Kissen liegenden Silberbecher.
Über die taghelle Beleuchtung im ganzen Haus wunderten sie sich nicht. Sie waren an diese ausschweifende Helligkeit gewöhnt. Doch nach dem Vollzug der weihevollen Handlung fanden sie ihre Chefin üblicherweise auf dem Bauch liegend vor, wobei die Arme aus dem Durcheinander auf der Couch herausragten und der Kopf zwischen zwei Kissen steckte, auf denen der Pierrot aus dem Kinderlied Au clair de la lune zu sehen war.
Sie wussten dann, was zu tun war. Die eine packte sie an den Füßen, die zweite an den Schultern, und so trugen sie sie zu ihrem Bett, nicht ohne Klagelieder über diese nie erlöschende, zerstörte Liebe anzustimmen. Sie taten es für den Fall, dass ihre Chefin sie hören konnte; im Übrigen stand ihre Meinung über diese Affäre längst fest, wie übrigens auch die aller Bewohner von Digne und der umliegenden Täler.
Dieses Mal aber riefen sie mit ihren durchdringenden Stimmen aus Leibeskräften in allen Etagen nach ihr. Mit Schrecken stellten sie fest, dass die Wäsche an der Leine nicht einmal abgenommen worden war. Sie rannten zur Fabrik, entdeckten neben dem Grabmal die Tote in den Gladiolen, sprangen auf ihre Mopeds und fuhren so schnell wie möglich nach La Javie zur Gendarmerie.
Im Büstenhalter des Opfers (alle zermarterten sich das Hirn darüber, warum sie sie gerade dort aufbewahrt hatte) fand sich die übliche Nachricht, in sorgfältig gemalten Buchstaben auf Notenpapier. Den Umschlag fand man nicht, aber das Papier, der Sinnspruch und die Schönschrift deuteten klar darauf hin, dass es sich wieder um ein Verbrechen handeln musste. Die Waldarbeiter, die man im Verhör hart angepackt hatte, ließen schließlich die Katze aus dem Sack. Ja, die Chefin war am Tag zuvor tatsächlich in ihr Lager gekommen, um ein Paket zu holen. Sie gaben eine Beschreibung seines Äußeren, doch auch unter Drohungen konnten sie über seinen Inhalt nur sagen, dass es ein komisches Geräusch von sich gegeben hatte, wenn man daran stieß.
Von nun an befand sich Barles in den Fängen des Justizapparats und seiner Pressegefolgschaft, keiner konnte dort fortan mehr in Frieden leben.
Der charcutier d’amour wurde ständig bei seiner Arbeit gestört, sei es von den Untersuchungsbeamten, sei es von den Journalisten, er kam nicht einmal mehr dazu, seine Steaks zuzuschneiden.
Der Kapitän Combaluzier versuchte sich unsichtbar zu machen; er fürchtete, die Polizei könne in seiner Vergangenheit herumstöbern. Kurz vor dem ersten Frost hatte er Françoise die Stelle mit den Herbstlorcheln gezeigt, die der unvergessene Fondère ihm verraten hatte. Seither wartete er auf seine Belohnung, doch Françoise ließ ihn zappeln. Sie hatte leichthin Versprechungen gemacht in der Meinung, dass Fondère seine Fundstellen nie preisgeben würde. Doch jetzt, wo sie ins kalte Wasser hätte springen müssen, schreckte sie zurück.
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