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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Allein schon der Anblick des Kapitäns – sein schuppiger Teint und seine verkrüppelten Ohren, die an die Kiemen eines erstickten Herings erinnerten – erfüllte sie mit Abscheu.
    Sie hatte schon Mühe genug, ihren laufenden Verpflichtungen nachzukommen. Wenn sie den Lehrer am Sonntagabend aufsuchte, legte sie die Fußkette mit den Glöckchen ab, um die Aufmerksamkeit der Gendarmen nicht auf sich zu lenken. Das Schmuckstück an ihrem Gelenk war ihr Glücksbringer, von dem sie sich nie ohne ein ungutes Gefühl trennte. Zudem musste sie die Furt überqueren und den Pfad hinter der Schule benutzen. Auf dem Heimweg zwängte sie sich in der Dunkelheit durch die Mistluke, die in die Wand des Schulhofs eingelassen war. All diese Unannehmlichkeiten nahm sie ohne innere Überzeugung, aus reiner Gewohnheit in Kauf.
    Der Orgasmus war bei ihr nichts weiter als eine kurze Zuckung. Sie stieß eine Art von »iah« aus wie eine Eselin, dann war alles vorbei; da gab es keine Wiederholung, und das alles ließ bei ihr keinen bleibenden Eindruck zurück. Deshalb ließ sie sich auch nicht einmal ausziehen; sie hatte es viel zu eilig, wieder in ihrem kuscheligen Bett zu liegen und zu ihren Träumen zurückzufinden, bei denen es um irgendetwas ganz anderes ging.
    Heimlich beneidete sie den Bürger von Barles, der es verstand, sein Leben mit diesen Aufsehen erregenden Verbrechen so interessant zu gestalten. Wenn sie ihn nur gekannt hätte! Sie hätte sich ihm angeboten, nur um ihn von seinen Untaten erzählen zu hören. Vorerst konnte sie sich seine Abenteuer nur ausmalen. Nicht dass sie über viel Muße verfügt hätte, um sich den Ausgeburten ihrer Phantasie zu widmen. Der Alltag war in letzter Zeit erdrückend. Das Café war ständig voll besetzt, sonntags ebenso wie an den übrigen Tagen. Ihre Mutter, die Grimaude, hielt sie dauernd auf Trab, ständig drohte sie ihr mit einem Tritt in den Hintern.
    Die füllige Postangestellte machte sich so viele Sorgen um den Grand Magne, dass sie vier Kilo abgenommen hatte. Die Polizei nahm ihn genau unter die Lupe, weil er eine Zeit lang seine Nächte mit Ambroisine verbracht hatte und etwas später, wenn auch nur wenige Male, mit Violaine.
    Selbst Prudence und Rose hatten unter dieser bunt gemischten Schar argwöhnischer Ermittler zu leiden, die das Dorf überfallen hatte. Sie trafen sich nur noch heimlich zwischen Tür und Angel, genau wie die vom Schicksal benachteiligten heterosexuellen Liebespaare.
    Sogar das friedliche Kartenspiel beim Lehrer wurde mindestens zweimal durch das unvermutete, wenn auch freundliche Erscheinen der Gendarmen gestört.
    Über dem Bès, dem Blayeul und der montagne de Chine waren noch einige herrliche Tage aufgezogen. Barles glänzte in der Sonne wie eines jener Musterdörfer auf dem calendrier des postes. Das Wasser des Wildbachs strömte so klar, dass sich mehr als einmal die Gelegenheit ergab, einen Fischer zu beobachten, der sich verstohlen (es herrschte bereits Schonzeit) zu später Stunde bei der Furt aufhielt. Er hatte keine Angel bei sich, trug hüfthohe Stiefel und einen tief in die Stirn gezogenen Regenhut. Aber wer hätte unter diesen Umständen schon auf einen Fischer geachtet?
    An einem ebenso schönen Tag geschah es, dass der Kapitän Combaluzier fast im Wildbach ertrunken wäre. Mit Hilfe seines Fernglases und aufgrund der Andeutungen, die Fondère vor seinem Tod gemacht hatte, hatte er dessen bevorzugten Zeitvertreib nun selbst übernommen. Inzwischen glaubte er, zu recht soliden Erkenntnissen hinsichtlich der Verbrechen gelangt zu sein, die die gesamte Gegend in Trauer versetzten. Er war völlig damit beschäftigt, ängstlich zu berechnen, was sie ihm möglicherweise einbringen könnten. Unglücklicherweise war in einer Nacht ein Mondstrahl zu viel auf das Fernglas gefallen, das auf ein bestimmtes Ziel gerichtet war. Ein Lichtreflex musste dem Ausgespähten verraten haben, dass ihn jemand beobachtete.
    Zwei Tage darauf gab ein bis dahin absolut verlässlicher Stein in der Furt unter dem Tritt des Kapitäns nach. Er rann te gerade hinter der neckisch aufgelegten Françoise her. Sie entwischte ihm immer wieder lachend, sprang flink in einem Satz über mehrere Steine auf einmal mit der Anmut eines durch die Wellen pflügenden Vorderstevens. Wegen dieser seltsamen Art der Fortbewegung, bei der eine Schulter dem übrigen Körper den Weg wies, war eine ihrer Hinterbacken viel stärker entwickelt als die andere, und diese graziöse Unvollkommenheit

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