Der Mörder mit der schönen Handschrift
als einen Grund anzunehmen, dass es sich so verhielt –, kann es vorkommen, dass sich das Verbrechen auszahlt. Das ist natürlich nur so eine Redensart, die sich erst dann bewahrheitet, wenn man den Gang der Ereignisse über Jahre hinweg verfolgt. Alles spricht dafür, dass sich das Schicksal selten so blind zeigt wie die Justiz.
Dies alles muss erwähnt werden, um zu betonen, dass wir durch unser Schweigen nichts zu befürchten hatten. Und doch schwiegen wir nicht alle nur aus diesem überzeugenden Grund.
Wenn wir schon nicht sonderlich daran interessiert waren, Klarheit darüber zu erhalten, wer die Verbrechen begangen hatte, so beschäftigte uns die Frage nach dem Warum über alle Maßen. Wir konnten in den Diskussionen darüber ganze Feuerwerke einleuchtender Gründe und glänzender Argumente abbrennen. Und deshalb schwiegen wir, denn wir hatten allen Grund zu der Annahme, dass die Festnahme des Schuldigen unsere kunstvoll errichteten Gebäude aus kühnen Vermutungen jäh zum Einsturz bringen würde.
Es war zu befürchten, dass sich die Quintessenz der Affäre unter den ungeschickten Händen der Justiz verflüchtigen könnte, dass nichts davon übrig bleiben würde. Die Anklage würde ebenso wie die Verteidigung alle Vorgänge so lange zergliedern und plattwalzen, bis wir es nur noch mit den üblichen kleinlichen, abgedroschenen, alltäglichen und banalen Motiven zu tun haben würden, die angeblich die menschliche Natur beherrschen. Kurz und gut, es wäre ein Motiv übrig geblieben, das dazu angetan war, unser Bedürfnis nach dem Geheimnisvollen und Wundersamen zutiefst zu enttäuschen.
Wir waren nämlich der Ansicht, dass – sollte einer von uns ein Verbrechen begehen – nur ein großartiges Motiv dafür in Frage käme, ein verzweifelter Anlass, düster wie der steinige Trauerflor an den Felsen der clues und würdig, die Wandteppiche nach Motiven des Ariost um ein weiteres zu bereichern.
Wir schwiegen. Gott möge uns das nicht verzeihen, denn ein weiteres Verbrechen in einem unserer Täler wäre uns erspart geblieben, wenn wir geredet hätten.
Verbittert und enttäuscht sprach der Richter Chabrand in Popocatepetl vor. Hinter den Fenstertüren, die das behagliche Domizil des Pensionärs Laviolette beschützten, blieb es dunkel.
Chabrand war genötigt, die Freitreppe des Nachbarhauses hochzusteigen, von wo er vergeblich versuchte, sich bemerkbar zu machen, um dann schließlich doch die riesige Diele zu betreten, die so viele unangenehme Erinnerungen in ihm weckte. Aus einem der Räume fiel ein Lichtstrahl. Er ging darauf zu. Es war eine ungastliche, eisige Küche mit außergewöhnlich hoher Decke; der Raum war mehr als fünf Meter lang, aber nur drei Meter breit.
Eine alte Frau stand gebeugt da und quälte sich mit einigen Konservendosen ab, die sie zu öffnen versuchte. Zu ihren Füßen warteten vierzehn Katzen mehr oder weniger geduldig mit hochgestrecktem Schwanz auf ihr Fressen.
Der Richter nannte seinen Namen und verlangte mit mürrischer Stimme, ohne zu grüßen, nach Laviolette. Als er daraufhin fragte, wie es denn sein könne, dass sie nichts über den Aufenthaltsort ihres Arbeitgebers wisse, wo doch sein Auto draußen bei der Einfahrt stehe, antwortete die schlecht gelaunte Chabassut mit ebenso mürrischer Stimme: »Woher soll ich denn das wissen? Er steckt doch nicht in meiner Schürzentasche! Wo Sie nun schon so lange mit ihm zu tun haben, sollten Sie eigentlich wissen, dass er recht außergewöhnliche Einfälle hat! Lassen Sie ihn doch von den Gendarmen suchen, wenn Sie ihn so dringend brauchen!«
Da stand der Richter schon wieder draußen am Ende der Einfahrt zum Haus, einsam und bekümmert, und sein Carrick flatterte im Nachtwind. Er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren – soweit er sich ein Urteil darüber erlauben durfte –, dass Gott ihn verlassen hatte.
Im Gerichtsgebäude herrschte Aufruhr, der Staatsanwalt und sein Vertreter brauchten dringend einen Schuldigen. Da wurden Gerüchte verbreitet, die überall Unruhe hervorriefen: Wenn dieses Gemetzel so weitergehe, werde man bald in ganz Digne keine Frau mehr finden, mit der sich etwas anfangen ließe. In der Tat gab es keinen vernünftigen Grund zu der Annahme, die Angelegenheit werde auf die Nachfahren der Melliflores beschränkt bleiben. Teestuben und Tanzlokale waren jetzt schon viel weniger gut besucht als vorher. Einige bereits weit vorangetriebene Scheidungsverfahren wurden den Anwälten aus der Hand genommen; der Gedanke
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