Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
Vom Netzwerk:
verkleidete Wesen sein Mofa neben sich her. Völlig durchnässt glich es im Licht der Blitze, je näher man kam, immer mehr einer von Krätze befallenen herrenlosen Katze.
    »Ein Mörder«, stieß Laviolette hervor, und sein Mund füllte sich mit Regenwasser.
    Dort ging er, fast schon in Reichweite, und mit einer letzten Anstrengung würde Laviolette ihn am Kragen zu fassen bekommen, ihn zu sich herumdrehen und alles wissen, endlich alles wissen.
    Nur noch dreißig Meter, zwanzig Meter, ständig von dem Höllenlärm des Bès begleitet, der im goldenen Schein der Blitze wie eine Walze dahinschoss.
    Laviolette schnaufte wie ein Walross bei der Anstrengung, die er aufbieten musste, um den Mann endlich zu fassen zu kriegen. Noch immer bedachte ihn das Gewitter mit seinen Wassermassen und seinen Blitzen.
    Plötzlich sah er etwas, das ihn auf der Stelle festnagelte.
    »Ich dachte, Sie wären das gewesen«, sagte Chabrand zu ihm, als alles vorbei war.
    Laviolette betonte später immer wieder hartnäckig und gegen die Skepsis seiner Zuhörer ankämpfend, dass er den Blitz erst danach gesehen habe. In Wirklichkeit betrachtete er es als ein Wunder des menschlichen Gehirns, dass es zwei so kurz aufeinander folgende oder womöglich sogar gleichzeitig auftretende Bilder überhaupt in einen zeitlichen Rahmen einordnen konnte. Doch Tatsache war folgendes: Zunächst sah er nur, wie der kleine Mann plötzlich gleich einer im Feuer erhitzten Eisenstange rot aufglühte. Seine Beine wichen auseinander, er hob seine Arme in die Luft, gerade so, als wolle er Gott um Erbarmen bitten; einen winzigen Augenblick lang dachte Laviolette, der Blitz würde den Pionier im nächsten Augenblick der Erde entreißen und nie wieder hergeben.
    Dann erst sah er den Blitz. Es waren vier violette Wurzeln, die funkelnd an den Wänden der Schlucht entlang strichen und sich an den Vorsprüngen aufbäumten. Sie schlängelten sich die beiden Kamine hinunter, in die sie der Luftzug gelockt hatte, um sich schließlich zu einem fast durchsichtigen blauen Faden zu vereinigen, an dem der Mann wie eine Marionette zu zappeln schien.
    Das Ganze endete schließlich in einem gedämpften, beinahe vertraulich flüsternden Donnerschlag, der noch nicht einmal das Tosen des Wildbachs übertönte.
    Der kleine Mann stürzte zerfetzt zu Boden, das Mofa fiel auf die überschwemmte Straße.
    »Chabrand!«, rief Laviolette aus vollem Halse. »Die Trommel!«
    »Was ist mit der Trommel?«, rief Chabrand zurück, der Laviolette beinahe erreicht hatte.
    »Die Trommel! So rennen Sie ihr doch in Gottes Namen nach! Sehen Sie denn nicht, dass sie drauf und dran ist, wegzurollen? Wir sind geliefert, wenn uns die Trommel durch die Lappen geht.«
    Er hatte Recht. Die Trommel war weit entfernt von dem Mofa zu Boden gefallen. Sie rollte, schaukelte und schwamm auf den hüpfenden Wellen talwärts. Sie drohte durch eine der Abflussluken, die alle zwanzig Meter die Ufermauer des Bès unterbrachen, in den Fluss zu gelangen.
    Chabrand ließ den Regenschirm fallen, warf sich ohne zu zögern auf den Boden und stürzte sich wie ein Rugbyspieler auf die Trommel.
    »Decken Sie sie zu!«, befahl Laviolette. »Stecken Sie sie unter Ihren Carrick!«
    Er beugte sich über den Toten. Er betrachtete ihn im Licht der Blitze. Chabrand trat an seine Seite; er trug die Trommel unter seinem Mantel und hatte den Regenschirm wieder in der Hand. Sie musterten sich gegenseitig im Lichtschein der Blitze. Sie erinnerten an zwei Boxer nach dem Kampf.
    »Haben Sie Ihre Taschenlampe?«
    »Ja. Greifen Sie in meine Manteltasche. Ich will die Trommel nicht loslassen.«
    Laviolette schaltete die Lampe an und richtete sie auf das Gesicht des Toten, das im Licht der Blitze nicht gut zu erkennen war.
    Der Blitzschlag hatte das Gesicht in einen Klumpen von Anthrazit verwandelt, der nun schwarz im grellen Licht aufleuchtete. Es wirkte wie eine in Stein gehauene, vollkommen glatte Skulptur. Der riesige Schnurrbart, der wenige Stunden zuvor auf dem Maskenball das Bild des Pioniers vervollständigte, hatte sich nun in Rauch aufgelöst.
    Die Pelzmütze war spurlos verschwunden. Daher konnte man nun all die Dellen, Beulen und hervorgehobenen Flächen gut erkennen, aus denen die Natur eine besondere Physiognomie geformt hatte, die zwar jetzt nicht mehr existierte, die jedoch auch nach ihrer vollständigen Zerstörung klare Hinweise auf die Herkunft der Bestandteile lieferte, aus denen sie zusammengesetzt worden war. Die gleichen

Weitere Kostenlose Bücher