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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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verloren gegangene Normalität wiederzufinden.
    Doch das sollte noch eine Weile dauern. Draußen zuckten die Blitze fast pausenlos durch den dichten Wasservorhang des Wolkenbruchs und hoben den Wald aus herabstürzenden Regentropfen plastisch aus dem dunklen Hintergrund hervor.
    »Ihr Regenschirm?«
    »Im Auto«, antwortete Laviolette. »Und Ihre Taschenlampe?«
    »Im Auto«, gab Chabrand kurz angebunden zurück.
    Sie stürzten ins Freie. Sobald die Blitze für mehr als zehn Sekunden aussetzten, wurden Chabrand und Laviolette durch die totale Finsternis zum Anhalten gezwungen. Manchmal blieben sie mit einem Fuß in der Luft auf der Terrasse oder auf den großen Platten der Treppe stehen. Aber das dauerte nicht lange. Malefiance schien schon seit langer Zeit dazu auserkoren, die Gewitter anzuziehen. Möglicherweise leitete sich sein Name davon ab: ein Ort, dem nicht zu trauen ist. In der Minute, in der die beiden Männer unter herabstürzenden Wassermassen das Auto erreichten, schlug der Blitz zweimal in den Riss in der Fassade des Hauses ein. Ein blau schimmernder Federbusch zierte die dunklen Mauern. Es schien, als habe das alte Gemäuer schon seit langem auf dieses Wiedersehen gewartet.
    Die Mäntel des Richters und Laviolettes waren bereits schwer wie Blei, als sie sich endlich auf die Sitze des Autos fallen ließen.
    »Wohin fahren wir?«, schrie der Richter.
    Er trocknete sich das Gesicht wie ein Taucher, der gerade aus dem Wasser steigt. Die Regenflut, die ihnen soeben die Sicht genommen hatte, prasselte jetzt mit dem Lärm eines Wasserfalls auf das Autodach.
    »Nach Barles! Konnten Sie sich das nicht denken?«, brüllte Laviolette in der gleichen Lautstärke.
    Chabrand nickte nur.
    »Nichts gleicht einem Mofafahrer mehr als ein anderer Mofafahrer …«
    Seit einer halben Minute betätigte er den Anlasser ohne Erfolg.
    »Den werden wir schon erkennen, darüber mache ich mir nicht die geringsten Sorgen!« Mit Schrecken blickte Laviolette auf das rote Licht am Armaturenbrett.
    »Und woran sollen wir ihn erkennen«, fragte Chabrand und bearbeitete den Anlasser mit noch größerer Hingabe.
    »Selbst wenn er seine Verkleidung losgeworden ist, werden wir ihn doch an der Trommel erkennen, die er bei sich hat. Nur ihretwegen war er überhaupt hier.«
    »Eine Trommel!«, zischte Chabrand zwischen den Zähnen. »Sachen gibt’s!«
    Das Auto schwankte auf seinem Fahrwerk wie ein Schiff, das auf ein Riff stößt. Es war aber nur der stotternde Motor, der endlich angesprungen war.
    »Ja, Sie haben richtig gehört, eine Trommel«, brummte Laviolette. »Und beten Sie zu Gott, dass wir sie finden!«
    Die Schlucht lag direkt vor ihnen. Sie spie Blitze aus, so wie der Wildbach unterhalb der Brücke seine gewaltigen Wassermassen auswürgte. Wie Hellebarden bahnten sich die Blitze einen Weg durch die engsten Stellen der Schlucht. Dieser unbedeutende Spalt in einem unbedeutenden Land schien in dieser Nacht dazu auserwählt worden zu sein, einen Vorgeschmack vom Jüngsten Gericht zu geben.
    Wenn das Ende der Welt nichts weiter war als ein grenzen-und bodenloses schwarzes Loch, das in der Ferne von Blitzen durchbohrt und von wütenden Donnerschlägen zerrissen wird, dann lag es nun vor ihnen, bereit, sie in sich aufzunehmen.
    Aber sie waren nicht die Einzigen, die sich in dieses Loch stürzten: Nur wenig mehr als hundert Meter vor ihnen wurde ein Rücklicht vom Strahl der Scheinwerfer und dem Schein der Blitze reflektiert.
    »Wir haben ihn! Fahren Sie etwas schneller!«
    Doch auf der Straße, die aus der Schlucht herausführte, kamen ihnen schäumende Wassermassen entgegen, wie eine Schafherde in wilder Flucht. Das trug nicht gerade zur Verbesserung der Sichtverhältnisse bei. Und so ließ sie auch an dieser Stelle, nachdem sie die letzte Brücke überquert hatten, das Auto endgültig im Schotter eines schlecht befestigten Banketts im Stich. Chabrand, der nur noch durch eines seiner Brillengläser sehen konnte, hatte die Kurve falsch eingeschätzt. Der rechte Vorderreifen war auf das Bankett geraten und grub sich nun immer tiefer in den völlig durchweichten Fahrbahnrand. Der Motor starb ab. Chabrand zog so lange am Anlasser, bis er das Kabel beinahe abgerissen hätte.
    »Was für ein Pech«, jammerte Laviolette.
    Es schien ihm, als höre er erneut, wie bereits zu Beginn des Abends, das rachsüchtige Kichern seines Autos, dem Chabrand mit so viel Verachtung begegnet war.
    Er griff nach seinem Regenschirm und öffnete entschlossen die

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