Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
Vom Netzwerk:
Eltern habe ich nicht mehr zu Gesicht bekommen, bis man sie beerdigt hat! Weder Möbel noch Nippes, bis auf … Aber das war gerade mal ein Andenken!«
    Chabrand ergriff ihre Hand, um sie von seinem Umhang zu lösen, an dem sie sich immer noch festhielt.
    »Sie haben mir aber immer noch nicht verraten, was Sie hier um diese Uhrzeit zu suchen haben.«
    »Ich kam aus dem Nachtclub zurück, habe Licht gesehen und wollte wissen, was los ist, immerhin gehört das Haus jetzt mir! Und im Übrigen habe ich einen Namen! Einen bekannten Namen! Ja, denn ich war verheiratet! Ich bin Frau Maillard, Violaine Maillard! Ja, genau, Violaine. Meine Mutter liebte Paul Claudel. Meine Schwester, die drei Jahre später geboren wurde, hat es mir nie verziehen. Sie heißt eben nur Véronique.«
    »Hieß!«, korrigierte Chabrand. »Sie ist tot, oder haben Sie das schon vergessen?«
    »Wie sollte ich? Ich bin außer mir vor Freude! Sie hat ihr Glück gehabt! Ihren alten Vater, den sie so lange verhätschelt hat … Dieses schöne Haus!«
    Mit einer großen emphatischen Geste, deren Wirkung durch ihre flatternden Handschuhe verstärkt wurde, umriss sie die ganze Lederwarenhandlung Champourcieux. Mit bedeutungsvoll abschätziger Miene wandte sich Chabrand dem Haus zu.
    »Oh!«, rief die Frau aus, »ich weiß, was Sie meinen, aber es gibt eben verschiedene Grade der Schönheit! Gucken Sie sich mein Haus an, und Sie werden mich verstehen! Sonst noch etwas?«
    »Im Moment nicht«, murmelte Chabrand nach einer angemessenen Bedenkzeit. »Es kann allerdings sein, dass ich später …«
    »Dass Sie mich vorladen lassen? Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Herr Richter.«
    Sie drehte sich auf ihren hohen Absätzen um und ließ dabei ihre mageren Hüften schwingen. Energisch öffnete sie die Wagentür, um sich ans Steuer zu setzen. Dabei achtete sie darauf, ihre mit altmodischer beigefarbener Seide umhüllten Beine möglichst hoch zu strecken. Chabrand wandte seinen Blick ab; Laviolette hingegen genoss es, in dieser erotischen Herausforderung aus längst vergangener Zeit, bei der die komplizierten Haltemechanismen eines Strumpfhalters mit Spitzen zum Vorschein kamen, seine einstigen Begierden wieder aufleben zu lassen.
    »Ein Nachtclub!«, stieß Chabrand verächtlich aus.
    Die Dame ließ das Seitenfenster herunter und streckte den Kopf heraus.
    »Eines noch: Geben Sie jede Hoffnung auf, irgendwann einmal etwas von dieser Geschichte zu verstehen! Da wird nichts draus! Da können Sie nachforschen, so lange Sie wollen!« Sie zog am Anlasser, schaltete die Scheinwerfer ein und warf Chabrand ein Lächeln zu, welches ihm mütterlich vorkam. »Dafür sind Sie zu jung!«, fügte sie mit einem Kopfschütteln hinzu.
    Wie eine Staatskarosse wendete der Delage majestätisch auf dem welken Laub, sanft und lautlos in seiner üppigen Federung schwingend.
    »Sie hat Ihnen das zugeworfen, als hätten Sie den Vorschlag gemacht, mit ihr zu schlafen, und sie hätte es abgelehnt«, betonte Laviolette auf überaus entgegenkommende Art und Weise.
    »Ich werde sie vorladen …,« murmelte Chabrand mit zusammengepressten Zähnen.
    »Richtig, laden Sie sie nur vor! Wenn Sie Gelegenheit dazu haben … Und wenn Sie schon dabei sind, dann fragen Sie sie um Himmels willen, was sie mit dieser ›Kinderei‹ gemeint hat, die sie aus den Klauen ihrer Schwester retten konnte.«
    Gemeinsam verließen sie den Ort und besprachen in Ruhe alle verwirrenden Aspekte dieses Rätsels, das ausschließlich aus dunklen Teilen zu bestehen schien.
    Hinter ihnen schien die durch die Totenstille ringsum ebenfalls zum Schweigen gebrachte Lederwarenhandlung Champourcieux gerade ihr Leben ausgehaucht zu haben.

5
    » ICH werde die Angelegenheit in der Presse verfolgen«, hatte er versichert.
    Doch ganz sachte, jeden Tag ein kleines bisschen mehr, schob sich die Gestalt Véroniques wie ein Schleier zwischen ihn und das in diesem Jahr ungewöhnlich lang anhaltende schöne Wetter.
    Er ging in Digne umher und ließ sie wieder auferstehen, immer von strenger Eleganz und Unnahbarkeit umgeben, versteckt hinter einem bescheidenen Lächeln. Er hörte ihre sanfte, leicht schleppende Stimme. Die Leute nannten sie eine »alte Jungfer«. Das passte nicht zu ihr; für ihn hatte sie immer Charme besessen.
    So manchen Nachmittag, wenn er in unmittelbarer Nähe der Grabstätte des Satyrs wohlig auf einer alten Pferdedecke in der Sonne lag, eine Katze mitten auf dem Bauch, ertappte Laviolette sich dabei, wie er Dinge vor sich

Weitere Kostenlose Bücher