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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Waage brachte und der das Zepter über Laviolette schwang, wie es nur eine lieblose Mätresse gekonnt hätte; ein Kater, der nur zärtlich war, wenn er Hunger hatte; ein Kater, der es fertig brachte, nach zehn Tagen Herumstreunen an der Tür zu kratzen, ohne ihn eines Blickes zu würdigen über die Füße seines Herrn zu springen, schnurstracks in die Küche zu laufen und dort ungnädig alle versäumten Mahlzeiten einzufordern, und, wenn ihm auch nur eine einzige vorenthalten wurde, mit wedelndem Schwanz auf den Boden zu pissen.
    Keine Frage, dass Laviolette höchst angetan war von diesem fetten Zuhälter, der Eier dick wie Nüsse hatte und wohlgenährt war wie ein Domherr. Er erniedrigte sich ihm gegenüber mit Koseworten, die nicht gut ankamen, und mit Zärtlichkeiten, die mit Tatzenhieben vergolten wurden. Die Liebe fühlt sich zur Verachtung hingezogen wie die Kompassnadel zum Norden.
    Gute drei Minuten lang ließ sich die Chabassut über das Thema Rodilard aus. Genau das hatte Laviolette erreichen wollen. Währenddessen konnte er völlig ungestraft, mit starrem Blick, den Hörer am Ohr, durch die Scheibe der Tele fonzelle die dicke Félicie beobachten, die wütend den kleinen Stapel Tagespost stempelte. Manchmal wurde sie von einem nervösen Zucken geschüttelt, wie ein Pferd, das eine lästige Fliege vertreibt.
    »Ihr ist kalt«, sagte sich Laviolette, »Teufel noch eins! Ich würde ihr schon einheizen!«
    Die Libido aus früheren Tagen beflügelte allmählich seine Phantasie angesichts dieser üppigen, fleischigen Kurven, die er eines Tages zu umfassen hoffte. Die Begierde ist unberechenbar. Sie regt sich immer genau dann, wenn sie überhaupt nicht gelegen kommt und man einen klaren Kopf haben müsste für wichtigere Dinge. Denn wenn Laviolette nicht von diesem erotischen Schock übermannt worden wäre, hätte er sofort gemerkt, dass sie vor Angst zitterte und nicht vor Kälte. Und dieses seltsame Verhalten wiederum hätte ihn vielleicht dazu gebracht, die ganze Angelegenheit in einem anderen Licht zu betrachten.
    Er verließ die Telefonzelle und das Postamt, ein bisschen trunken von dieser Begierde, von der er nicht gedacht hatte, dass sie ihn ausgerechnet an so einem unwahrscheinlichen Ort wie Barles überfallen würde. Er schüttelte sich, atmete tief ein und ließ seinen Blick über den Blayeul und die cloche de Barles schweifen, die weit oben im Licht der untergehenden Sonne funkelte.
    Die Luft war schwer vom Geruch verbrennenden Laubes, und der Gestank der verkohlten Feldmäuse stach in der Nase. Der Lehrer war nicht mehr auf dem Schulhof. Er hatte augenscheinlich seine Ketzerverbrennung beendet.
    Wann immer Laviolette in einem Dorf ankam, galt sein erster Besuch dem Friedhof.
    Es gab keinen Ort, wo er gern leben wollte, es gab nur Orte, wo er gern sterben würde.
    Besonders an einem dieser schönen Abende, unter Zypressen, wenn an einem italienischen Himmel pastellfarbene Wolken vorüberzogen.
    Er stieg die ausgetretenen Stufen zum Friedhof von Barles hinauf. Wie alle anderen ging auch er an dem einfachen Briefkasten vorbei, der die linke Seite des Friedhofstores schmückte, ohne ihm Beachtung zu schenken. Dumpfe Schläge schallten aus dem kleinen ummauerten Geviert. Zwischen den Gräbern, die in der Abendsonne rot leuchteten, erfreute sich Laviolette daran, die Namen zu betrachten, die sich so ruhig hinter den Töpfen mit Plastikblumen versteckten, und die nachgedunkelten Fotos aus einer anderen Zeit. die ihm von wohlverdienter und teuer erkaufter Ruhe erzählten.
    Er sah einen Aushub, den jemand mit kräftigen Schaufelwürfen vergrößerte. Auf dem Grund hörte er den Klang einer Hacke. Er trat näher.
    Manchmal, wenn er seine Arbeit unterbrach, schreckte Emile Pencenat unter der Last seiner inneren Widersprüche zusammen wie ein Zicklein. In den letzten acht Tagen hatte er alle Qualen der Angst durchlebt. Eines Morgens hatte er bei der Grimaude, als er seinen Kaffee trinken wollte, die Zeitung aufgeschlagen und war wie vom Blitz getroffen worden.
    Es ist schön und gut, sich sein Grab zu schaufeln, aber eigentlich ist es nur eine rhetorische Figur, die durch ein simples Loch im Boden verstärkt wird, bis man eines Tages durch eine sehr konkrete Bedrohung merkt, dass man mit einem Bein schon darinsteht. Und erst dann wird das Loch zu einem Grab. Genau das war dem zitternden Pencenat passiert. Auch er hatte, wie alle anderen, die Gendarmen und die Inspektoren bei der Félicie gesehen. Und schließlich

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