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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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nach dem Regal ausgestreckt hatte, um sie ein bisschen zu säubern, und dabei zu seinem großen Erstaunen ins Leere gegriffen hatte. Da er sie nur selten benutzte, konnte er nicht genau sagen, wie lange sie schon fehlten. Er war so verblüfft darüber, dass man ihm etwas so Wertloses gestohlen haben konnte, dass er es sogar gewagt hatte, Prudence danach zu fragen. Doch damit gab er ihr nur einmal mehr Gelegenheit, ihn tüchtig ins Gebet zu nehmen.
    »Ich? Deine ollen Postlatschen? Was bitte sollte ich damit anstellen? Es ist nur gut, dass man sie dir geklaut hat! Seit zehn Jahren – und sag jetzt bloß nicht, dass das nicht stimmt! – predige ich dir, dass du ein Vorhängeschloss für diesen Schuppen kaufen sollst!«
    Nachdem ihm so alle seine Sorgen durch den Kopf gegangen waren, stieß Pencenat auf dem Grunde seines Loches einen tiefen Seufzer aus. Er stellte seine Schaufel ab, wischte sich die Stirn, spuckte in die Hände und hob die Augen zum Himmel, um zu sehen, wie spät es schon war. Da sah er diesen Mann oben stehen. Er stand fest auf seinen leicht gespreizten Beinen und war mit einem viel zu langen Überzieher bekleidet und in einen breiten, handgestrickten Schal gewickelt.
    Der Unbekannte trug einen dieser schweren Filzhüte, wie man sie manchmal in der Zeitung auf den Köpfen der Großen der Welt sieht, wenn sie den Sarg eines der ihren auf ihre Schultern heben. Alle wahren Störenfriede dieser Welt haben ein so sanftmütiges Aussehen. Pencenat dachte sofort, die Félicie habe geredet, und man komme nun, um ihn festzunehmen.
    »Läuft’s gut?«, fragte der Mann.
    »Na ja …«, sagte Pencenat mit zitternder Stimme. »Es ist ein bisschen trocken … Könnten Sie mir sagen, wie spät es ist?«
    »Viertel vor fünf!«, antwortete Laviolette.
    »Verdammt!«, rief Pencenat. »Meine Frau erwartet mich um fünf, weil ich die Apfel aus dem Garten reinbringen soll!«
    Er stieg die Leiter hinauf, die er unten stehen ließ. Der Mann wollte ihm helfen.
    »O nein!«, lehnte Pencenat ab. »Danke! Ich bin daran gewöhnt!«
    Er fürchtete, dass der Fremde, wenn er ihm seine Hand reichte, diese nie wieder loslassen würde. Im Nu stand er aufrecht am Rande des Grabes, stieg von einem Fuß auf den anderen und fragte sich, ob er weglaufen oder betont müde davongehen sollte.
    »Was hat denn der?«, fragte sich Laviolette. »Der hat ja eine ganz schöne Angst! Aber wovor? Warum? Wenn ich ihn was frage, macht er zu wie eine Auster. Am besten bleibe ich bei Belanglosigkeiten. Ach, da fällt mir ein, ich hab schon lang keine mehr geraucht!«
    Er holte seinen Tabak aus der Tasche und feuchtete mit der Zunge ein Blättchen der Marke Job an. Diese Geste würde selbst einen Angsthasen in Sicherheit wiegen. So wirkte sie auch auf Pencenat. Er entschied sich für eine normale Gangart. Er drehte sich sogar auch eine Zigarette, und beide gaben sich gegenseitig Feuer, mit demselben Feuerzeug.
    »Ich komme aus Digne«, sagte Laviolette.
    »Ach!«, sagte Pencenat, »ich fahre manchmal runter.«
    »Ist es ruhig hier?«, fragte Laviolette.
    »Na ja … Sie sehen ja selbst.«
    Laviolette war nicht gerade gut im Fragenstellen.
    Pencenat war von Natur aus nicht besonders gesprächig, und obwohl er durch die selbst gedrehte Zigarette seines Begleiters beruhigt war, verhielt er sich abwartend. Während des gesamten Abstiegs wechselten sie eben mal diese vier Sätze. Sie trennten sich vor dem großen bunten Hahn, der auf dem Ehrenmal für die Toten thront.
    Die Sonne war verschwunden. Jetzt konnte man auch das Rauschen des Bès unten bei den Wiesen hören; er fing an, sich bemerkbar zu machen. Über der Baracke mit der öffentlichen Waage verlor eine Erle ihre Blätter im Wind, einem Wind, der nur für sie allein zu wehen schien, denn rundherum bewegte sich kein anderer Baum.
    Laviolette begab sich eilig zum Café-Hôtel. Im Vorbeigehen glitt sein Blick über die Milchglasscheibe des Postamtes, aber er konnte nur die Umrisse der fülligen Félicie erkennen, die im Schalterraum ihren Verrichtungen nachging.
    Er öffnete die Tür des Cafés. Es war leer, bis auf drei oder vier Alte, die, da alle Gesprächsthemen erschöpft waren, vor sich hin pfiffen, um die Zeit totzuschlagen. Hoffnungsvoll sahen sie ihn eintreten, denn sie erwarteten von ihm als Auswärtigem irgendetwas Neues, vielleicht sogar Unerwartetes.
    Am Tresen standen auch zwei vom Fleisch gefallene Gestalten, schreckhaft wie Hasen, die sich nur in Andeutungen unterhielten und in viel zu

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