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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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hatte er herausgefunden, dass sie denjenigen suchten, der den Brief bei der Post aufgegeben hatte. Da spürte er auf einmal die Kälte des Fallbeils auf seinem ohnehin schon faltigen Nacken, und sein Grab erschien ihm wirklich als ein solches. Denn wenn die Félicie den Gendarmen das erzählte, was sie – und daran zweifelte Pencenat, der ihre Gewohnheiten kannte, keinen Augenblick – auf jeden Fall bemerkt hatte, dann war es mit ihm aus und vorbei. Wer würde seiner Geschichte schon Glauben schenken?
    Drei Tage lang verbrachte er mit Zähneklappern. Mehrmals fragte Prudence misstrauisch, warum er so oft, und vor allem abends, dieses komische Kastagnettengeräusch ertönen ließ. Er antwortete, dass es ihm im Apfelschuppen, der ihm als Schlafzimmer diente, zu kalt sei und dass sie gut daran täte, wenn sie ihn und vor allem seine Pension nicht verlieren wollte, ihm eine Wärmflasche ins Bett zu stecken. Aber diese Erklärung überzeugte Prudence nicht, und sie beobachtete ihn weiterhin aufmerksam.
    Doch als die Gendarmen nicht bei ihm auftauchten, sagte er sich, dass die Félicie wohl doch nichts gesagt hatte, sei es, weil sie nichts wusste oder aus Vorsicht. Er beruhigte sich und ging wieder an die Arbeit.
    Nach und nach nahm sogar eine Idee in ihm Gestalt an, die seine Angst in glühende Leidenschaft verwandelte. Er war nicht gerade ein schneller Denker, aber er hatte genug Zeit, seine Gedankengänge aneinanderzureihen, sie aufeinander abzustimmen, an ihnen zu feilen, sie blank zu putzen und schließlich einen berauschenden Schluss daraus zu ziehen.
    »Wenn es mir gelingen sollte, herauszufinden, wer der Strolch ist, der mich seine Briefe aufgeben lässt, könnte ich mir vielleicht gleich meine Säulen aus rosa Marmor bestellen.«
    Diese Aussicht munterte ihn wieder auf und vertrieb seine Befürchtungen. Er fing an, Luftschlösser zu bauen. Es schien ihm ein Kinderspiel zu sein, den Absender des Briefes zu erpressen, sobald er seine Identität aufgedeckt hatte. Es gibt immer solche Schlaumeier, die eine Gelegenheit zu nutzen wissen, die mit dem Tod kokettieren und die sich hinterher im letzten Moment wundern, wie leicht sie ihn gefunden haben.
    Es war genau zwei Wochen nach dem ersten Brief - er kletterte gerade aus seinem Loch –, als er an einem stürmischen Abend, genau wie beim letzten Mal, den zweiten Brief entdeckte. Der Umschlag hatte sich mit einer Ecke in den stacheligen Blütenblättern einer künstlichen Gartenaster verfangen und winkte ihm von dort aus zu, zitternd wie ein welkes Blatt. Pencenat ging darauf zu, seinen Augen nicht trauend, hypnotisiert, wie von einem Magneten angezogen. Er wischte umständlich seine erdigen Hände an seiner Hose ab, und als er das Schreiben mit zwei Fingern ergriffen und die Aufschrift gelesen hatte, fühlte er sich, als hätte er eine Todesanzeige aufgehoben. Trotz seiner Überlegungen überkam ihn wieder die Angst. Und in diesem Zustand war Pencenat totenbleich bei Félicie erschienen und hatte eine Briefmarke gekauft. Seine Hände zitterten so sehr, dass er drei Anläufe brauchte, um den Umschlag in den Briefkasten zu stecken. Es überkam ihn die furchtbare Vorstellung, dass er durch diese einfache Geste die Empfängerin des Briefes zum Tode verurteilte.
    Und doch erzählte er keinem Menschen von dem Entsetzen, das ihn bedrückte, denn die Aussicht auf die rosa Marmorsäulen erstickte alle Skrupel in ihm. Er musste sich eingestehen, dass ihm nicht besonders viel an der Festnahme eines Mörders lag, von dem er sich Wunder erhoffte. Aber da er das Gewissen eines aus Gewohnheit anständigen Menschen hatte, ging das nicht ohne gelegentliches Zusammenzucken ab.
    Darüber hinaus hatte er auch noch andere Sorgen … Bald würde die geräumige Grube, die er aushob, fertig sein, und dann würde er mit Hilfe einer einfachen Schubkarre das Pressholz und den Zement für den Bau des Grabes hierher transportieren müssen. Er würde also die alten Postschlappen brauchen, die er nur benutzte, wenn er Mörtel anrührte, um seine anderen Schuhe zu schonen. Doch diese Schlappen waren verschwunden. Normalerweise thronten diese zähen, großen Dinger, deren Nägel an der Sohle schon verrostet waren, zwischen erdigen Werkzeugen und zerschlissenen Bienenkörben auf dem krummen Regal unter dem Hängeboden eines Schuppens, der von allen Seiten zugänglich an der Sackgasse stand, die am Garten entlangführte. Er wusste auswendig, wo sie standen, sodass er neulich die Hand, ohne hinzusehen,

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