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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Tür fand. Das Auto wartete im Mondschein vor dem offenen Portal. Sie sprang hinein, schlug die Tür hinter sich zu und fuhr mit quietschenden Reifen davon.
    Digne war tief in die Stille der Herbstnacht eingetaucht. Der Musikpavillon und das Denkmal des väterlich dreinschauenden Gassendi führten von einer Seite der Esplanade zur anderen ein poetisches Zwiegespräch, das ungehört verhallte.
    Ein kräftiger Wind, traurig und zärtlich zugleich, wehte aus dem oberen Tal der Bléone herunter, von der couronne des Dourbes her, dem Diadem der Stadt. Doch auch traurige und zärtliche Winde klingen bei uns nie gedämpft. Zu viele von der Erosion ausgewaschene Kamine in überhängenden Felswänden stellen sich ihnen in den Weg, als dass ihre Rufe sich verhalten anhören könnten. Zu viele feierliche Bäume strecken ihnen ihre wild verschlungenen Zweige wie Fangarme entgegen. Schon ein sanfter Windhauch klingt in unserer Gegend gleich wie der Notschrei eines Tiers aus der Tiefe des Waldes.
    Als Ambroisine auf der Aufschüttung vor dem Nachtlokal die Wagentür hinter sich zuschlug, sah sie sich von neuem dieser Klage ausgesetzt, die sie naiverweise unter den Zedern zurückgelassen zu haben glaubte. Denn wie alle Städte, die dazu bestimmt sind, die Leitlinien des Schicksals aufzudecken, liegt Digne nackt und bloß inmitten der Arena der Natur. Man hört sie atmen, wohin immer man sich flüchtet.
    Die betonierte Leere, der rote, hässliche und vulgäre Klotz, das festliche Neon, das die Tür mit ihren künstlichen, leuchtenden Rosen zur Geltung brachte, die Plakate, auf denen Musiker geil ihren Unterleib den üppigen Hinterbacken der in enge Jeans gezwängten Mädchen entgegenstreckten, das alles war nicht dazu angetan, die Nacht zu vertreiben, dem Wind Einhalt zu gebieten und den Geschmack des Todes aus dem Mund zu spülen. Für jemanden, der Angst hatte, war das alles ein schwacher Trost.
    Sie trat ein. Das Picrocole war ein Schmuckkästchen für diejenigen, die ihre Kümmernisse eine Weile wegschließen wollten. Wände und Decke waren in Blau ausgepolstert und vermittelten eine enge, heimelige Atmosphäre, die dazu geschaffen war, jeden Schmerz zu lindern. Die Ganoven, die das Lokal konzipiert hatten, waren raffinierte Psychologen: Sie hatten eine Liste aller Wehwehchen der Menschen, die sie ausfindig machen konnten, zusammengestellt und nach der einzig möglichen Art gesucht, Abhilfe zu schaffen. Die betörende Irrealität eines erotischen Traums, die sich bereits im Vorraum durch eine undefinierbare Duftwolke bemerkbar machte, tröstete die armen Seelen.
    Gleich vorn an der Garderobe machte eine kränkliche Empfangsdame eine so jämmerliche Figur, dass sich jede Frau im Vergleich mit ihr unwiderstehlich fühlen musste.
    Ambroisine fühlte sich leicht und verjüngt. Sie legte ihren Mantel ab und hielt ihn der Vogelscheuche hin. Dann warf sie einen kurzen Blick in den Spiegel, um sich die Augenbrauen zu glätten und – falls sie noch dazu in der Lage war – ihr berühmtes, verstecktes Lächeln aufzusetzen, nach dem die Männer so verrückt waren.
    Voller Entschiedenheit betrat sie den Raum und wiegte sich dabei in den Hüften, wobei ihr Hintern unter dem leichten, beweglichen Stoff zur Geltung kam.
    Die Musik des Banjospielers liebkoste zärtlich vier Pärchen, die auf der Tanzfläche ihre erotischen Berührungspunkte abtasteten. Drei Saxophonspieler unterstützten ihn dabei. Nostalgisch schluchzend bewegten sie sich um das Banjo auf und ab, verschränkten ihre Instrumente vor ihm und ließen das verchromte Blech aufblitzen. Die tiefen Töne mischten sich in das Gelächter von zwei oder drei Gruppen, die mit dem obligatorischen Champagner dasaßen, um auf irgendeinen Geburtstag anzustoßen, der als Vorwand zum Feiern herhalten musste. Ab und zu hörte man vom Klavier im Hintergrund ein Paar freche Triller, die die pessimistischen Töne der Saxophone auf die Schippe nahmen. Alle Musiker waren schwarz.
    An die Bar gelehnt, rauchend oder Fingernägel kauend, standen dort einige Männer und Frauen, die sich offenbar nicht kannten. Sie hatten Drinks vor sich, die im kreisenden Licht des Scheinwerfers mal violett, mal methylenblau aufleuchteten. So wie sich am Meeresgrund eines Tages die Überbleibsel eines alten versunkenen Schiffs ansammeln, so fanden sich hier vor dieser Bar die Wracks ein, die ein Lebenstag in Digne zurückzulassen pflegt.
    Ambroisine kletterte auf einen Hocker zwischen zwei Gästen, die auseinander

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