Der Mörder mit der schönen Handschrift
hatte, um ihn zu begrüßen. Er öffnete das Buch und warf es gereizt wieder von sich, nachdem er den Titel gelesen hatte.
»Das passt nicht zusammen!«, knurrte er.
»Was? Was passt nicht zusammen?«
»Sie! Sie und dieser Snob, dieser dekadente Visionär, der an seiner Zeit, an der Art, wie er sie sah, gelitten hat. Seinem Genie laufen neunzig Prozent der heutigen Schriftsteller immer noch hinterher.«
»Schade,« seufzte Laviolette. »Wenn Sie ihn nicht mögen, dann mögen Sie mich auch nicht.«
Chabrand schnalzte ärgerlich mit der Zunge.
»Ach was, natürlich mag ich ihn, aber ich ärgere mich, dass ich ihn mag. Doch genug von Proust. Seinetwegen bin ich nicht hergekommen.«
»Also? Was verschafft mir die Ehre?«
»Sie mit Ihrer Ehre! Sie wissen sehr gut, dass es sich meistens eher um Schande handelt!«
»Ja, ich weiß. Ich habe versucht, es zu vergessen, aber Sie lassen es nicht zu.«
»Wenn Sie wollen, kann ich …«
Chabrand zeigte auf die Tür und machte Anstalten, wieder zu gehen.
»Aber nein! Bleiben Sie! Setzen Sie sich. Legen Sie Ihren Überzieher ab.«
»Das ist ein Carrick«, brummte der Richter.
»Von mir aus. Aber legen Sie ihn trotzdem ab. Und dann bedienen Sie sich! Nehmen Sie ein Glas von diesem biologischen Apfelsaft. Ich habe ihn gerade aus reinem Übermut aufgemacht.«
»Apfelsaft?«, fragte Chabrand verblüfft. »Aber … Sie trinken doch sonst nie Apfelsaft.«
»Nehmen wir einmal an, ich hätte auf Sie gewartet«, seufzte Laviolette.
Chabrand ließ sich in einen Sessel fallen.
»Madame Ambroisine Larchet ist ermordet worden«, verkündete er. »Freitag Nacht. Todeszeitpunkt zwischen drei und vier Uhr morgens, nach Aussage des Gerichtsmediziners. Ihr Tod trat, wie Sie in der Zeitung gelesen haben werden, in Folge eines heftigen Schlags auf die Wirbelsäule ein, ausgeführt mit der Abdeckung eines Brunnens. Vorläufig, so können Sie Ihrer Zeitung entnehmen, tappt die Polizei völlig im Dunklen.«
»Die Zeitung schreibt auch«, bemerkte Laviolette, »dass sie die Cousine ersten Grades von Mademoiselle Véronique Champourcieux war, die ebenfalls vor nicht einmal zwei Wochen auf grauenhafte Weise umgebracht wurde.«
»Natürlich! Und in der Redaktion ist man schon gespannt auf die Fortsetzung.«
»Nun ja! Immerhin hat die Polizei einen Verdächtigen festgenommen«, meinte Laviolette begütigend.
»Ach, ich bitte Sie, machen Sie sich nicht über mich lustig! Madame Larchet wurde am Vorabend der Tat im Picrocole gesehen. Sie tanzte mit jemandem, und später sah man die beiden zusammen weggehen, wobei nicht auszumachen ist, wer wen abgeschleppt hat. In der Villa, an den Türklinken, am Bettgestell, im Badezimmer, überall hat man jede Menge Fingerabdrücke von diesem Jemand gefunden. Er ist zweifellos die letzte Person, die das Opfer lebend gesehen hat. Wie hätte man unter diesen Umständen eine Festnahme vermeiden sollen? Zurzeit befindet er sich in Polizeigewahrsam. Seine Frau fordert die Scheidung. Seine Kinder sind bei den Schwiegereltern. Kurz und gut: eine Katastrophe! Eine zerstörte Familie! Und ich bin an diesem Skandal schuld.«
»Na ja«, sagte Laviolette mit stoischer Gelassenheit, »das ist schließlich Ihr Beruf.«
»Natürlich. Aber ich hätte diesen Beruf niemals wählen dürfen, das ist einfach nichts für mich.«
»Ich war auch nicht zum Polizisten geboren. Das zeigt sich schon daran, wie sehr ich es genieße, keiner mehr zu sein. Nun … Sie werden ihn freilassen, nehme ich an?«
»Zweifellos. Spätestens morgen. Aber der Schaden ist angerichtet. Das lässt sich nicht mehr gutmachen.«
»Sind Sie sich denn sicher, dass er nichts mit der Sache zu tun hat?«
»Ich war mir vom ersten Moment an sicher. Außerdem haben die Ermittler ein äußerst wichtiges Indiz gefunden: Sie haben – ihren eigenen Worten zufolge – gehört, ›wie etwas im geräumigen Mieder der Verstorbenen knisterte‹. Sie haben die Hand hineingesteckt und … das hier herausgezogen!«
Er kramte aus seiner Tasche einen Umschlag in einer Klarsichthülle hervor und hielt ihn Laviolette unter die Nase.
»Der gleiche«, stellte Laviolette fest, »wie der, der zwischen den Seiten des Brahms-Notenhefts bei Mademoiselle Champourcieux gefunden wurde.«
»Genau! Und er kommt aus Barles. Und er trägt, wohlgemerkt, dieselben Fingerabdrücke. Alle sind identifizierbar, außer denen, die von den erdigen Fingern stammen.«
»Wie auf dem anderen Brief«, sagte Laviolette. »Und … der
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