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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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gegeben hätte …«
    »Wenn das so ist … nicht nötig«, sagte Laviolette.
    Es lag ihm nichts daran, ein solches Unglück zu betrachten: das zerwühlte Bett einer schönen Frau, das nie wieder Ort ihrer Liebe sein würde, den Kleiderschrank und ihre schillernden Kleider, die wunderschöne Kommode, die er sich am liebsten bauchig und aus der Zeit Ludwigs XV. stammend vorstellte und deren Schubladen sicher überquollen von der weißen oder bunten, in jedem Fall jedoch durchsichtigen Unterwäsche, in die sie wohl gern geschlüpft war, um dann vor dem Spiegel oder vor den Augen ihrer Liebhaber festzustellen, dass sie noch nicht gealtert war.
    »Was ich Ihnen zeigen wollte«, sagte Chabrand, »ist oben, auf dem Dachboden.«
    Leichtfüßig, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, sprang er die Treppe hinauf, wobei ihm seine Magerkeit zugute kam. Laviolette folgte ihm, so gut er konnte. Die Luft pfiff durch seine Bronchien wie durch die Löcher eines Siebs.
    »Sie sollten mehr Rücksicht auf mich nehmen, ich bin im Ruhestand!«, keuchte er leise.
    Aber Chabrand hörte ihn nicht. Er öffnete schon die Tür zum Dachboden und bedeutete Laviolette vorauszugehen.
    »Hier«, sagte er und drehte den Lichtschalter, »können wir ruhig Licht machen, die Dachluke ist so verstaubt, dass niemand etwas sehen wird.«
    Im Schein der beiden Fünfundzwanzigwattbirnen war Laviolette schon in der Mitte des Raums angelangt.
    »Aber Sie haben mir ja gar nicht gesagt«, jubelte er, »dass dieses Haus den schönsten Dachboden der Welt hat!«
    Er ächzte buchstäblich vor Freude, während er sich in einem ovalen Ankleidespiegel betrachtete, dessen Beschichtung sich stellenweise schon gelöst hatte, sodass sein Spiegelbild seltsam zusammengeflickt erschien. Er stand unter dem Dachfenster, unter dem sich auch ein solider Toilettentisch mit Fayenceutensilien befand, denen er ansah, dass sie aus der Blütezeit der Manufaktur von Moustiers-Sainte-Marie stammen mussten. Voller Entzücken machte er ruckartig vor einer reizenden Anhäufung altmodischer Hüte Halt, die die Ermittler auf der Suche nach Indizien, von denen sie selbst nicht wussten, wie sie aussehen sollten, aus dem Schrank gerissen und wüst durcheinandergeworfen hatten. Aber vor allem blieb er lange andächtig vor dem Schild: Scholastique Melliflore, Modistin stehen. Unter diesem Schild hatte er vor fünfzig Jahren auf dem Boulevard Gassendi auf seine Mutter gewartet, als sie in den Laden gegangen war, um sich den einzigen Hut auszusuchen, den sie je in ihrem Leben getragen hatte.
    Chabrand betrachtete mit einem verächtlichen Grinsen diese kindliche Freude, diese Begeisterung, mit der sich ein vertrottelter Alter geradezu lüstern auf die Vergangenheit anderer stürzte.
    »Alter Krempel!«, zischte er zwischen den Zähnen. »Kommen Sie lieber mal hierher!«
    Er zeigte mit gebieterisch erhobenem Finger auf eine leere Stelle in einem großen Regal.
    »Hier sehen Sie«, sagte er, »der gestohlene Gegenstand, von dem ich Ihnen erzählt habe, er war hier. Dank der Umrisse, die sich im Staub abzeichnen, konnten die Ermittler seine Ausmaße bestimmen: sechzig Zentimeter in jeder Richtung, ein perfektes Quadrat. Über die Höhe wissen wir natürlich nichts, und ebenso wenig, versteht sich, worum es sich bei dem fraglichen Gegenstand handelt.«
    »Er könnte schon vorher weggebracht worden sein«, gab Laviolette zu bedenken.
    »Auf keinen Fall. Als die Durchsuchung stattfand, war die dünne Staubschicht, die sich jetzt schon auf das Quadrat inmitten der alten, dicken Schicht gelegt hat, noch nicht vorhanden. Also muss das Päckchen damals gerade erst weggebracht worden sein. Ist das einleuchtend?«
    »Voll und ganz«, antwortete Laviolette zerstreut, denn er war gerade von der Entdeckung der leeren Uniform in Bann gezogen worden, die mit Fäden an den Deckenbalken aufgehängt war und einen Briefträger vorgaukelte. Er drehte sich im ständig gleichen Luftzug, das képi saß keck auf der Hutform aus geflochtenem Rohr, die ihm als Kopf diente, und er schien über die Schulter des Richters hinweg etwas zu lesen.
    »Das gibt’s doch nicht!«, flüsterte Laviolette, »man könnte meinen, er würde jeden Moment seine Runde beginnen.«
    Chabrand sah ihn an.
    »Ach, der? Eine seltsame Idee, den aufzubewahren! Aber zu Ihrer Information: Meine Leute sind in ihrer Professionalität so weit gegangen, sogar die Taschen der Uniform zu durchsuchen.«
    »Aber daran zweifle ich nicht im Geringsten!«,

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