Der Mörder ohne Eigenschaften: Ein Fall für Enzo Mackay (German Edition)
Sicherheit verantwortlich war, ging Enzo umsichtig vor.
«Wo ist der Lichtschalter?»
«Links.»
Er tastete danach und fand ihn. Es machte «klick», blieb aber dunkel. «Der Sicherungskasten?» Er flüsterte fast, auch wenn er nicht wusste, wieso. Würden sie drinnen von jemandem erwartet, hätte derjenige sie ohnehin längst bemerkt.
«An der Wand, rechts.»
Er öffnete die Tür ganz und schwenkte den bleistiftdünnen Lichtstrahl nach rechts oben. Er sah das quadratische Türchen des in die Wand eingelassenen Kastens. Dann leuchtete er einmal schnell das ganze Zimmer aus. Es herrschte absolutes Chaos, und er hörte, wie Kirsty nach Luft schnappte. Doch es schien niemand da zu sein. Er trat blitzschnell ein, klappte den Sicherungskasten auf und leuchtete hinein. Der Hauptschalter war hochgekippt. Er hätte unten sein müssen. Er drückte den Kippschalter herunter, und das winzige Apartment seiner Tochter erstrahlte in grellem Licht.
«Oh Gott!» Kirsty sah sich entsetzt in ihrem Zuhause um. Ein einziges Bild der Verwüstung. Möbel waren umgestoßen, Schubladen geleert, Kleider und Papiere über den ganzen Boden verstreut. Sie ging sofort zu ihrem Schreibtisch unter dem Fenster. Sämtliche Schubladen standen offen. Sie sah in der obersten nach und stellte fest, dass ihr Pass sowie ihre Börse mit den Kreditkarten noch an Ort und Stelle waren. «Er hat offenbar nichts gestohlen.»
Enzo öffnete mit einem Ruck die Tür zum Badezimmer und knipste das Licht an. Es war niemand da. Allerdings hatte der Eindringling den gesamten Inhalt des Spiegelschränkchens in die Dusche gekippt, und saubere Handtücher lagen in einem Knäuel auf dem Boden. Er drehte sich zu Kirsty um und sah, dass auch noch der letzte Rest Blut aus ihrem Gesicht gewichen war. «Wie’s aussieht, wollte er nur eine ‹Visitenkarte› hinterlassen. Eine deutliche Botschaft, dass er hier gewesen ist.» Er sah, wie sie sich auf die Lippe biss, und war mit drei Schritten bei ihr, um sie in die Arme zu nehmen. Er legte seinen Kopf auf ihren und roch den schwachen vertrauten Duft, den er fast vergessen hatte. «Komm, Kleines. Pack ein paar Sachen in eine Tasche und lass uns schleunigst hier verschwinden.»
Er stand am Fenster und sah zu, wie der Schnee durch die Lichtkegel des Taxis fiel, während er wartete. Im Schatten der Bäume auf der anderen Straßenseite waren dunkle nasse Flecken auf dem Boden zu erkennen. Ein Mann trat aus dem Schatten und überquerte die Straße, wobei er schwarze Fußspuren hinterließ. Im Laufen zog er den Kragen seines langen Mantels hoch, dann beugte er sich zum Fenster des Taxis herunter, das der Fahrer geöffnet hatte, um eine Zigarette zu rauchen. Sie redeten eine halbe Minute, dann griff der Mann in den Mantel und zog seine Brieftasche hervor. Geld wechselte den Besitzer, der Mann öffnete die Tür zum Rücksitz und stieg ein.
«Hey!», brüllte Enzo und donnerte ans Fenster, bevor er fieberhaft nach dem Riegel suchte, ihn fand und das Fenster hochschob.
Kirsty kam aus dem Bad gerannt. «Was ist los?»
«Da fährt jemand mit unserem Taxi weg.» Er lehnte sich in die Nacht hinaus und brüllte: «Hey! Halt!»
Falls der Fahrer ihn hörte, nahm er keine Notiz von ihm. Stattdessen legte er den Rückwärtsgang ein und wendete in drei Zügen. Kirsty und Enzo sahen hilflos zu, wie ihr Taxi in die entgegengesetzte Richtung davonbrauste. Im letzten Moment sah der Mann, der ihnen den Wagen weggeschnappt hatte, zu ihnen herauf, und für eine Sekunde war sein Gesicht im Licht der Straßenlaterne zu erkennen.
Kirsty packte ihren Vater am Arm. «Das ist er!»
Er drehte sich zu ihr um. «Wer?»
«Der Mann von der Pressekonferenz. Den ich im Bahnhof wiedererkannt habe.»
Angst und Verwirrung stiegen in Enzo auf, als er dem Taxi hinterhersah. Dieser Mann trieb ein übles Spiel mit ihnen. Zuerst versuchte er, seine Tochter zu ermorden, jetzt führte er sie beide an der Nase herum und lachte sie dabei förmlich aus. Wer in Gottes Namen war dieser Kerl? Wieso tat er das? Zum ersten Mal überkam Enzo eine düstere Vorahnung: Vielleicht steckte viel mehr hinter alledem, vielleicht war das hier erst der Anfang. Er drehte sich zu Kirsty um. «Pack deine Sachen fertig. Ich rufe ein anderes Taxi.»
Es vergingen weitere zehn Minuten, bis Enzo endlich ein Taxiunternehmen an den Apparat bekam. Nur um sich sagen zu lassen, dass sie frühestens in einer Stunde mit einem Wagen rechnen konnten.
«Mich hält es hier keine Minute länger.»
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